Giftspur
nun wieder weniger pathetisch. »Sie haben selbst gesagt, dass es viel zu viele Schnittpunkte gibt, um reiner Zufall zu sein.«
»Versuchen Sie Ihr Glück«, gab Möbs sich geschlagen. »Der Lkw dürfte noch auf dem Hof stehen, solange der Papierkram nicht erledigt ist.« Er erhob sich, schob seine Jalousie mit den Fingern auseinander und blickte hinab. Dann kehrte er zurück und nickte mit einem schmalen Lächeln. »Er ist noch da. Also los. Ich werde dann mal Schulte anrufen und ihn auf eine weitere Pressekonferenz vorbereiten.«
»Geben Sie mir Bescheid, falls Hack sich meldet?«, vergewisserte sich Angersbach und erhob sich.
Möbs nickte. Sabine stand ebenfalls auf, rückte die beiden Stühle gerade und verabschiedete sich mit den Worten: »Ich setze Weitzel auf einige Hintergrundinformationen an und begleite Angersbach zu Dr. Elsass.«
Sabine Kaufmann hatte sich mit einem so einfachen wie bestechenden Argument durchgesetzt, als es darum ging, welchen Wagen die beiden nehmen sollten.
»Meiner ist noch warm«, sagte sie mit einem spitzbübischen Augenaufschlag, während ihr Kollege wie selbstverständlich zu seinem Lada geschritten wäre, wenn sie nicht interveniert hätte. Statt sich in ein weiteres Jammern über seinen geplagten Rücken zu ergehen, nickte Angersbach nur und stieg ein.
»Sie müssten mich navigieren«, forderte Sabine ihn auf, nachdem sie sich angeschnallt hatten und sie den Motor startete.
»Sagt die Ortskundige zum Fremden«, flachste er mit einer zweifelnden Miene. Da war sie wieder. Eine winzige Gelegenheit, die Tür in die geheimnisvolle Welt von Ralph Angersbach ein Stück weit aufzustoßen.
Wenigstens ein Blick durchs Schlüsselloch.
»Ich denke, Sie leben schon seit vergangenem Herbst in Okarben?«, fragte Sabine prompt.
»Ich
wohne
dort«, korrigierte Angersbach sie missmutig, ließ diesen Satz dann jedoch unkommentiert im Raum stehen.
Nicht mit mir,
entschied Sabine.
»Worin besteht der Unterschied?« Sie war so gespannt wie die Sehne eines Bogens, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass es aus dieser direkten Frage ein Herausreden gab. Es sei denn, er verweigerte sich, doch heute schien Angersbach sich nicht wie eine Auster um die Perle zu schließen. Etwas arbeitete in ihm, er warf einen Blick aus dem Wagenfenster, seufzte und sortierte ganz offensichtlich seine Gedanken.
»Der Unterschied«, antwortete er dann beinahe leidenschaftslos, »besteht in einem baufälligen Haus und dem Mensch gewordenen Satan in Form einer Halbschwester, die ich bis vor einem halben Jahr nicht kannte.«
Paff.
Wie ein Trog zerkochter Kartoffelschalen und Küchenabfälle, den man einer Horde gieriger Paarhufer vor die nimmermüden Rüssel knallt.
Friss oder stirb.
»Na, hat es Ihnen nun die Sprache verschlagen?« Angersbach blinzelte mit nach vorn geneigtem Kopf in Sabines Richtung, die erst jetzt realisierte, dass bereits lange Sekunden vergangen waren, ohne dass sie eine Reaktion gezeigt hatte.
»Wie? Ach nein«, wehrte sie hastig ab und lächelte schief. »Ich habe mir nur meine nächste Frage überlegt. Zu viele Informationen in einem Satz.«
»Man kann auch mit wenigen Worten viel sagen«, gab Angersbach mit einem provokanten Gesichtsausdruck zurück. »Quod erat …«
»Ja, ich hab’s kapiert«, unterbrach die Kommissarin ihn brüsk. »Baufälliges Haus? Teufel in Menschengestalt? Erinnert mich an meinen Vermieter in Heddernheim«, lächelte sie versöhnlich.
»Ein Vorschlag«, kam es von ihrem Kollegen, und sie horchte auf. »Nachher essen wir eine Kleinigkeit, dann können Sie mich meinetwegen ausfragen. Ich versuche derzeit, Dienst und Feierabend so weit wie möglich voneinander zu trennen, sonst würde ich wohl wahnsinnig werden. Sie müssen übrigens auf die B 3 Richtung Friedberg.«
»Okay«, nickte Sabine, ordnete sich auf die entsprechende Fahrspur ein und drehte sich anschließend noch einmal zu Angersbach, »und einverstanden.«
Dr. Victor Elsass war von durchschnittlicher Statur, das dunkle Haar graumeliert, ein zottiger Schnäuzer, der die Oberlippe beinahe vollständig bedeckte, und statt eines Laborkittels trug er eine ausgewaschene Jeans und einen Rollkragenpullover. Die Saatgutwerkstatt befand sich in einem unscheinbaren Nebengebäude eines Fachwerkhauses, welches man mit halbherziger Mühe in gleichfarbigem Holz verkleidet hatte. Fünf Häuser, davon zwei weitestgehend zerfallen, und einige Anbauten bildeten die inmitten von Feldern gelegene Siedlung
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