Giftspur
Anstrengende, und damit kommen wir zu Punkt zwei: Unterschätzen Sie mich nicht. Ich bin ein mündiges Wesen. Kennen Sie die Positionen von Immanuel Kant oder Karl Marx?«
»War das eine rhetorische Frage?«
»Ganz, wie Sie mögen. Es ging mir nur darum, dass ich nicht bedauert und bevormundet werden möchte.« Frau Wedmann deutete in Richtung der Computerecke. »Fragen Sie wegen der Bücher und des Computers?«
Wie macht sie das?
Sabine nickte, dann wurde ihr gewahr, dass das nicht genügen würde. »Ja, unter anderem.«
»Ich bin ein Bücherwurm. Krimis, Thriller, Liebesromane – aber auch schwere Kost. Leider gibt es vieles nicht als Hörbücher, und wenn, dann erscheinen sie oft nur gekürzt. Also lasse ich mir die Bücher kommen und scanne sie ein. Die Software ist nicht günstig und hat auch ihre Macken, aber man kann darüber
hinwegsehen.
«
Sie schmunzelte über ihren Wortwitz, dann wurde sie wieder ernst.
»Kommen wir zu Malte Kötting«, leitete Sabine über und nippte an ihrer Tasse. Früchtetee mit Weihnachtsaroma. Sie wäre wohl niemals auf die Idee gekommen, fruchtig süßen Tee zu trinken, sagte aber der Höflichkeit halber nichts.
»Stimmt es, dass er umgebracht wurde?«, wollte Frau Wedmann wissen.
»Hat das jemand gesagt?«, kam die prompte Gegenfrage von Ralph.
»Ich bin leider auf das angewiesen, was ich aufschnappe«, entgegnete sie angriffslustig, und ein Schatten verfinsterte ihre Miene. »Ich weiß im Grunde überhaupt nicht, ob ich mit Ihnen darüber reden soll. Ein blindes Huhn wie ich kann zu Ihrer Ermittlung doch ohnehin nichts Brauchbares beitragen.«
»Ich kann mich nur für meine Kollegen entschuldigen«, antwortete Sabine. In ihrem Magen zog es sich zusammen, doch es war kein Appetit nach Nahrung, sondern ein Rachehunger.
Irgendjemandem muss ich nachher den Hals umdrehen.
Bildlich, versteht sich. Sie sprach weiter: »Es war vollkommen ungehörig, das versichere ich Ihnen, zumal Sie bisher die einzige Person sind, die uns außerhalb seiner Kollegen Informationen zuteilwerden lässt.«
Angersbach spielte mit seiner Zungenspitze. Dabei entwich zirpend Luft aus seinem Mund, worauf Frau Wedmann prompt reagierte.
»Ihr Kollege scheint das skeptisch zu betrachten.«
Angersbach, der bislang kaum drei Sätze gesprochen hatte, richtete sich empört auf.
»Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Nur getroffene Hunde bellen«, lächelte die Blinde und schüttelte langsam den Kopf. »Aber ich nehm’s Ihnen nicht übel. Ich weiß vielleicht wirklich nicht viel über Malte, aber ich bin wohl die einzige Nachbarin, die ihn vermissen wird. Und ich möchte jetzt«, ihre Stimme wurde plötzlich forsch, »verdammt noch mal wissen, warum ihn jemand umgebracht haben soll!«
»Wir stehen noch am Anfang der Ermittlung«, erklärte Sabine, »also kann ich Ihnen nicht viel dazu sagen. Herr Kötting wurde tot aufgefunden, augenscheinlich hat er einen Herzinfarkt erlitten. Aus ermittlungstechnischen Gründen …«
»Ja, verstehe«, seufzte ihr Gegenüber und winkte ab. »Sie dürfen nichts sagen und wollen dafür alles von mir wissen.«
»Das wäre hilfreich«, bestätigte die Kommissarin.
Heike Wedmann dachte einige Sekunden nach, in denen sie die Hände aneinanderrieb. Schließlich, und ihr Blick verklärte sich dabei, begann sie zu sprechen: »Malte war ein echter Kavalier.«
Ihr Blick und die ins Schwärmen geratende Stimme verrieten Sabine, dass sie es ehrlich meinte. »Er schleppte mir jedes Mal ungefragt die Wasserkästen vor die Wohnungstür. Der Getränkehandel ist in dieser Hinsicht sehr fahrig. Je nachdem, welcher Lieferant die Tour durch Petterweil macht, stehen die Kisten wie der Schiefe Turm von Pisa neben dem Blumenbeet.«
Sabine Kaufmann stutzte, als ihr nicht sehendes Gegenüber diesen bildhaften Vergleich anführte, sagte aber nichts.
»Und außerdem hat er mir regelmäßig Produkte aus seinem Betrieb mitgebracht.«
»Sie sprechen von Einkäufen aus dem Hofladen?«, vergewisserte sich Angersbach.
»Aber nein!« Frau Wedmann lachte schallend auf. »Diesen Zahn hat er mir schon längst gezogen.«
Sabine wurde hellhörig. »Erklären Sie das bitte.«
Doch Heike Wedmann gab sich geheimnisvoll. »Ich möchte niemanden beschuldigen …«
»Das verstehen wir«, erwiderte die Kommissarin, »aber jeder Hinweis könnte uns von Nutzen sein. Was hat es also mit dem Hofladen auf sich?«
Heike Wedmann schien einzulenken. Mit ruhiger Stimme begann sie zu
Weitere Kostenlose Bücher