Giftspur
Geliebte gewesen war. Die Finkes – auch hier galt es nun, Hintergrundinformationen zu beschaffen. Eine voreilige Verhaftung, so schlüssig sich manche Dinge nach dem Gespräch mit Frau Wedmann auch zeigten, hielten beide Kommissare für kontraproduktiv. Zu viele Fragen waren noch offen, wenngleich Hack darauf beharrte, dass er nicht an einen natürlichen Tod glaubte. Und welche Geschichte verbarg sich hinter diesem sonderbaren Knecht oder den Feldern, auf denen die Windkraftanlagen standen? Deren monatlicher Kapitalertrag war mit Sicherheit nicht unerheblich und strömte völlig unabhängig von den Windverhältnissen auf das Reitmeyer-Konto.
Zu dritt saßen sie im Büro der beiden Kommissare und gingen die stetig anwachsende Liste der zu erledigenden Dinge durch. Weitzel balancierte ein in schwarzes Leder gebundenes Notizbuch auf dem überschlagenen Knie. Die etwa postkartengroße, karierte Seite war bereits eng beschrieben.
»Irre ich mich, oder wird die Arbeit ständig mehr, je weiter Sie ermitteln?« In der Stimme des jungen Polizisten schwang Ironie, und Sabine Kaufmann bedachte ihn mit einem aufmunternden Lächeln.
»Es wird sogar noch schlimmer. Überlegen Sie es sich also gut, ob Sie sich beruflich in diese Richtung begeben wollen. Immerhin wissen wir erst seit kurzem, dass wir es tatsächlich mit einem Mord zu tun haben.«
»Einer oder zwei«, warf Angersbach mürrisch ein, »und selbst das birgt eine Menge Ungewissheit.« Er hatte kurz zuvor mit Professor Hack telefoniert und sich erkundigt, ob es denn bereits Gewissheit gebe. Den genauen Wortlaut der ruppigen Antwort enthielt Ralph seinen Kollegen zwar lieber vor, fasste es dann mit einigen der sanfteren Begriffe zusammen, die Hack verwendet hatte: »Beizaubern«, »Hellseher« sowie »Geduld«.
»Kennen Sie Hack?«, erkundigte sich der Kommissar bei Weitzel. Dieser verneinte.
»Scheint ja ein angenehmer Zeitgenosse zu sein.«
»Als Menschenfreund würden ihn wohl die wenigsten bezeichnen«, lachte Ralph und winkte ab. »Deshalb umgibt er sich ja lieber mit Toten. Aber unter uns: Das ist zum Großteil Fassade. Sie kennen doch den Spruch von Hunden, die bellen, aber nicht beißen. Hackebeil bildet da keine Ausnahme.«
Hackebeil.
Mirco Weitzel verzog das Gesicht etwa auf die gleiche Weise, wie Angersbach es vor Jahren getan hatte, als er diesen zynischen Spitznamen zum ersten Mal gehört hatte.
Sabine Kaufmann stand auf und trat ans Fenster, dessen dünne Metalljalousien zu drei Vierteln hinabgezogen waren.
»Wenn wir es tatsächlich mit zwei Morden zu tun haben«, dachte sie laut, »was bedeutet das für uns?« Sie verharrte einen Augenblick, drehte sich wieder um und fuhr fort: »Reitmeyer hat einen denkbar schlechten Ruf, das kristallisiert sich ja immer deutlicher heraus. Aber Kötting scheint da sein genaues Gegenteil zu sein. Wer hätte eine Intention,
beide
zu ermorden? Dazu fehlt mir jede Idee, sowohl in Bezug auf eine der Personen, die wir befragt haben, als auch in Sachen Motiv. Zwei Morde begeht man nicht ohne Grund, zumal es sich nicht um Taten im Affekt zu handeln scheint. Wir reden immerhin von Gift.«
»Cherchez la femme«,
kommentierte Mirco beiläufig und blätterte in seinem Block eine Seite zurück. Irritiert trafen sich die Blicke der beiden Kommissare.
»Wie bitte?« Angersbach kratzte sich am Kopf.
»Sorry, ich habe nur laut gedacht«, entschuldigte sich Weitzel hastig, »aber bei Gift denke ich immer gleich an Frauen.«
»Ein verbreitetes Klischee«, lächelte Sabine, »doch Klischees entstehen nicht ohne Grund. Ich denke vor allem an Claudia Reitmeyer. Allerdings ist mein Blick da nicht ganz objektiv, denn ich kann diese Schlange nicht ausstehen.«
»Schlange – Gift, ich verstehe«, schmunzelte Angersbach, und Sabine wollte gerade etwas hinzufügen, da meldete sich ihr Handy.
»Ja«, hörte er sie noch mit gedämpfter Stimme sagen, danach verließ sie den Raum.
Obwohl das Display den Namen ihrer Mutter zeigte, meldete sich eine Männerstimme. Sabine Kaufmann seufzte erleichtert, als sie das entsprechende Gesicht zuordnete. Es war ein Angestellter aus der Tageseinrichtung, die Hedi besuchte. Gemeinsames Kochen, verschiedene Gruppentherapien und Angebote, die Menschen mit psychischen Erkrankungen soziale Kontakte und eine wiederkehrende Tagesstruktur boten. Ein Kindergarten für Erwachsene, wie böse Zungen behaupteten, denn die Akzeptanz seelischer Leiden reichte hierzulande nicht sonderlich weit. Auch Sabine
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