Giftspur
ein Blumenkind, Kötting war ein Heiliger.
Trotzdem hatte ihn jemand getötet.
Also sprach sie eilig weiter: »Das Gleiche gilt natürlich auch für Ulf Reitmeyer.«
»Der einzige Feind, der mir dazu einfallen würde, wäre Philip Herzberg«, murmelte Elsass nach einiger Zeit des Nachdenkens. »Wobei mir der Begriff
Feind
nicht behagt, außerdem trifft es, wenn überhaupt, nur auf einen der beiden Toten zu. Mit Kötting war Herzberg nämlich recht dicke.«
»Was hat es mit Herzberg auf sich?«, fragte Sabine hartnäckig, und Elsass wand sich erneut, bis er endlich antwortete.
»Philip ist Claudias leiblicher Vater.«
Sie fuhren zurück in Richtung Dienststelle. Auf halbem Weg nutzte Sabine Kaufmann eine rote Ampel, um ein eingehendes Gespräch entgegenzunehmen. Ein Freisprechsystem war in ihrer Fahrzeugkonfiguration nicht vorgesehen gewesen, und sie bereute längst, dies nicht bestellt zu haben.
»Kaufmann hier«, meldete sie sich knapp. Eine ganz offensichtliche Tatsache, denn es war ja schließlich ihr Handy. Aber das Spektrum an freundlichen Begrüßungen war ein enges Feld.
»Weitzel«, kam es zurück. »Sie müssen noch mal nach Petterweil.«
»Petterweil, wieso?«
»Eine Nachbarin von Kötting möchte gerne befragt werden.«
»Sind die Kollegen damit nicht längst durch?«
Am drucksenden Schweigen des Beamten erkannte die Kommissarin, dass eine unangenehme Erklärung kommuniziert werden wollte.
Vergessen – nicht angetroffen – übergangen?
Doch was dann kam, versetzte Sabine in echtes Staunen. Längst hatte die Ampel auf Grün geschaltet, und der Renault surrte über die B 3 in Richtung Norden. Das Smartphone lag zwischen Sabines Knien, sie hatte flugs den Lautsprecher eingeschaltet. Verkehrsregeln galten auch für Kriminalbeamte.
»Man hat es nicht für nötig gehalten«, leitete Weitzel ein.
»Wieso denn das?«
»Die Dame wohnt direkt unter Kötting, ist aber blind wie ein Fisch.«
Gab es überhaupt blinde Fische?
Doch anstatt über den fragwürdigen Sinn dieser Metapher nachzudenken, fragte Sabine gereizt: »Okay, sie ist blind. Ist das ein Grund?«
Weitzel hüstelte.
»Eberhardt, der Hauseigentümer, hat zu Protokoll gegeben, dass man sich in dem Haus generell nicht für seine Nachbarn interessiere. Und Frau Wedmann, so heißt die Dame, kriege – ich zitiere – ›noch am wenigsten mit‹.«
»Aha. Und weiter?«
»Ergo hat sich niemand zu ihr bemüht. Geben Sie nicht mir die Schuld, ich bin nur der Bote.«
»Und wir dürfen nun die Kastanien aus dem Feuer holen. Vielen Dank.«
Sabine Kaufmann malte sich eine erzürnte Frau mit schwarzen Wespenaugen aus, die, im Türrahmen stehend, die verbale Integrationskeule schwang. Wundervoll.
Sie beendete das Gespräch und wartete auf einen Kommentar aus dem Fond. Angersbach hatte sich die ganze Zeit über ruhig verhalten, und sie versuchte, seine Miene im Rückspiegel zu erfassen. Es gelang ihr nicht.
»Schwachsinn.«
Wie aufs Kommando brachte der Kommissar seine Meinung auf den Punkt.
»Was ist Schwachsinn?«
»Nach Petterweil zu fahren, nur, um eine blinde Zeugin zu vernehmen. Hätte sie ihre Aussage nicht am Telefon machen können?«
»Vielleicht möchte sie das nicht. Außerdem kann ich ihren Ärger verstehen. Sie wurde diskriminiert, das gehört sich selbst dann nicht, wenn ihre Aussage keine neuen Erkenntnisse bringt.«
»Trotzdem sieht sie uns nicht«, widersprach Angersbach. »Rufen wir sie doch einfach an. Was ändert’s denn?«
»Nein.« Sabine schüttelte energisch den Kopf.
»Hm. Hat Weitzel denn verlauten lassen, was sie uns erzählen möchte? Sie wird ja schlecht jemanden
gesehen
haben.«
»Haben Sie einen Zyniker gefrühstückt?«
»Wieso? Ich habe gar nicht gefrühstückt, wenn Sie’s genau wissen wollen«, murrte Angersbach. »Lassen Sie mich doch am besten beim Bäcker raus. Dann können Sie Ihren politisch korrekten Hausbesuch alleine machen.«
»Sie können mich mal grad …«
»Was?«
Seine Augen blitzten angriffslustig im Spiegel.
»Kreuzweise!«, erwiderte Sabine giftig.
»Können vor Lachen. Dazu müssen Sie mich erst mal aus dieser Konservenbüchse befreien.« Angersbachs Knie bohrte sich demonstrativ in die Lehne des Fahrersitzes. Pfeifend machte Sabine ihrem Ärger Luft, verbiss sich aber jede weitere Bemerkung.
Sie erreichten das Mehrfamilienhaus wenige Minuten später. Die Außenbeleuchtung brannte, fahles, weißes Licht, wie man es aus Energiesparleuchten kannte. Das Haus wirkte
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