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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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ratterte das übliche Schema herunter, die Analyse der Körpersprache, der erste Eindruck, die Mimik, wenn der Dienstausweis zum Vorschein kam, et cetera. Doch letztlich verhielt sich Herzberg wie jede durchschnittliche Person in einer Erstvernehmung.
    »Kriminalpolizei?«, wiederholte er leise, und seine Gesichtsmuskeln drückten ehrliche Überraschung aus.
    »Wir kommen wegen Herrn Reitmeyer«, leitete Sabine ein, »und wegen Herrn Kötting.«
    Herzberg zuckte. »Kötting?« Er schien Schwierigkeiten zu haben, das Gesagte in Kontext zu setzen, und Sabine fiel ein, dass Köttings Name in den Medien bis dato nicht erwähnt worden war.
    »Tut uns leid, Sie mit dieser Nachricht zu überfallen«, entschuldigte sie sich, »aber Malte Kötting ist verstorben. Man sagte uns, Sie seien befreundet gewesen?«
    »M…Malte ist tot?«, hauchte Herzberg und wurde aschfahl. Sabine war sich nicht sicher, ob seine Wangen, auf der sich rote Äderchen abzeichneten, nicht bereits vorher von ungesunder Blässe gewesen waren, und ärgerte sich, dass ihr das entgangen war. Definitiv neu war allerdings der feucht glänzende Schleier, der sich über die Augen der ansonsten versteinerten Miene legte. Sabine verabscheute es zutiefst, Todesmeldungen zu überbringen, aber diese gehörten nun mal zum Job.
    »Unser Beileid«, setzte sie leise an, »aber wir haben einige Fragen und suchen daher die engeren Kollegen Köttings auf. Angehörige hatte er ja keine, oder?«
    »Kollegen«, gab Herzberg genervt zurück, ohne die Frage zu beantworten. »Das waren wir einmal …«
    »Dürfen wir reinkommen?«
    »Wenn’s sein muss.«
    Er schlurfte vor den beiden Kommissaren her über weiße Fliesen in Richtung eines geräumigen Wohnzimmers. Dabei entging Sabine nicht der Geruch von Alkohol, den er hinter sich herzog, und plötzlich ergab alles ein Bild. Seine ausweichenden Blicke, die Bewegungen, das gesamte Gebaren. Philip Herzberg war angetrunken, vermutlich in einem Level, der andere Menschen längst hätte lallen lassen. Ein Alkoholiker? Unschöne Erinnerungen an Alkoholexzesse ihrer Mutter durchzuckten Sabine und förderten schmerzhafte, düstere Bilder zutage, gegen die sie nur schwer ankämpfen konnte. Arbeitslos, seiner Familie beraubt und einsam. War dies tatsächlich das Profil Herzbergs oder nur eine Projektion? Sabine zwang sich zu einem objektiven Blick, was ihr nur zum Teil gelang, und war dankbar, dass ihr Kollege sich derweil aufmerksam umsah. Im Wohnzimmer lagen Zeitschriften kreuz und quer auf dem Couchtisch, über einen Computermonitor flimmerte ein Bildschirmschoner, und der riesige Flachbildfernseher lief tonlos. Herzberg trug eine schwarze Jogginghose, unter deren tiefsitzendem Bund eine blaue Boxershorts herauslugte. Dazu ein weißes T-Shirt.
Schlabberlook versus Hightech,
folgerte Sabine, wieder deutlich konzentrierter. Der Mann kleidete sich offenbar gerne bequem, hatte es nicht so mit Ordnung, aber gehörte, allein aufgrund der teuren Unterhaltungselektronik, augenscheinlich nicht zu den Mittellosen. Auch die Möblierung sprach dagegen. Zeichnete er absichtlich ein Klischee?
    »Was können Sie uns über Kötting erzählen?«
    Angersbach hatte es sich auf einem weichen Sessel bequem gemacht und musterte Herzberg abschätzig.
    »Was um aller Welt ist ihm denn zugestoßen?«, fragte dieser mitfühlend zurück.
    »Daran arbeiten wir noch. Wir möchten gerne etwas über den Menschen hinter dem Namen Kötting erfahren. Außerdem bräuchten wir Ihr Alibi für Samstagabend.«
    Rumms!
Der Vierzigtonner Angersbach hatte den unsicheren Mann mit einem schwungvollen Manöver überrollt. Sabine seufzte tief und rieb sich über die Augenbrauen.
    »Vielleicht eins nach dem anderen«, hakte sie mit warmer Stimme ein, »möchten Sie mit dem Alibi beginnen? Das müssen wir jeden fragen, bedaure.«
    »Ich war hier, wie meistens«, gestand Herzberg und hob die Hände. »Hätte ich gewusst …«
    »Schon in Ordnung. Den ganzen Tag über?«
    »Nein. Ich war auf dem Jahrestreffen meines Tierschutzvereins in Idstein. Ich bin erst spät zurückgekehrt, danach war ich durchgehend zu Hause. Allein.«
    »Können Sie uns eine Uhrzeit nennen?«
    »Das Treffen ging bis kurz nach achtzehn Uhr. Bis ich loskam und zu Hause war …« Herzberg zögerte und verzog unsicher den Mund. »Sagen wir, halb acht?«
    »Und wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Malte Kötting?«
    »Da muss ich überlegen«, sinnierte Herzberg. »Wir haben unlängst telefoniert, aber ich

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