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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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Offenbar mied sie die Blicke ihrer Besucher, oder sie war höchst konzentriert, so genau wusste Angersbach das nicht einzuordnen. Ein leiser Glockenklang ertönte aus Claudias Richtung, ein vertrauter Laut, der aller Wahrscheinlichkeit nach auf neue Mails im Posteingang hinwies.
    »Hier, bitte.« Frau Reitmeyer hob das Gerät an und drehte es herum, auf dem Bildschirm war ein auf Vollbild vergrößerter, fliederfarbener Rahmen zu erkennen. Eine einzelne E-Mail wurde dort angezeigt, wie verloren wirkten die wenigen Zeilen auf dem fünfzehn Zoll großen, glänzenden Monitor.
    Hat mein Brief Dich schon erreicht?
    Schreib mir hier, es ist ganz leicht.
    Töricht, mich zu ignorieren,
    sonst wird Schreckliches passieren!
    Als Absender war die Adresse p 4 r 4 [email protected] angegeben, die Betreffzeile war leer. Im Empfänger-Feld stand der Name Claudia Reitmeyer.
    »Was sollen die Vieren?«, fragte Angersbach mit zusammengekniffenen Augen.
    »Das nennt sich
Leetspeak
«, wusste Sabine und griff dabei wie selbstverständlich auf Wissen zurück, das sie ohne ihre Beziehung zu Michael Schreck niemals gehabt hätte. »Man ersetzt Buchstaben durch ähnlich aussehende Zahlen oder Symbol.«
    »Und warum tut man so etwas?«
    »Vielleicht war die normal geschriebene E-Mail-Adresse nicht mehr verfügbar«, überlegte Sabine, doch ihr Kollege widmete sich bereits dem Inhalt der Mail.
    »Scheint mir ein Witzbold zu sein«, kommentierte er den Vierzeiler, der ihn auf unangenehme Weise an die Lehre verschiedener Reimformen in der Mittelstufe erinnerte. »Aber er hat außerdem einen bedrohlichen Tonfall, genau wie in dem Brief.«
    Claudia Reitmeyer schwieg.
    »Haben Sie schon darauf reagiert?«, fragte Sabine Kaufmann.
    »Nein.«
    »Dann antworten Sie doch bitte«, schlug die Kommissarin vor, und wie aufs Stichwort kam ihr Michael Schreck in den Sinn. Kurz strömten Erinnerungen auf sie ein. Sie sammelte sich kurz und ergänzte dann: »Unsere Computerspezialisten werden sich der Sache annehmen. Löschen Sie also bitte nichts, und halten Sie uns über jeden Schritt auf dem Laufenden.«
    »Aber was soll ich denn nun tippen?«
    Zum ersten Mal seit ihrer kurzen Bekanntschaft wirkte die junge Frau verängstigt. Nicht der Tod ihres Vaters, besser gesagt: ihres Adoptivvaters, noch die Erkenntnis, dass es sich um Mord gehandelt hatte, hatten diesen Grad tiefster Verunsicherung zutage fördern können. Angersbach beugte sich nach vorn und grübelte, während er sich das stoppelige Kinn knetete.
    »Fragen Sie doch einfach, was er will. Das ist wohl das Nächstliegende«, empfahl er. Claudia nickte. Sie zog den Computer wieder zu sich und begann nach einigen Sekunden des Nachdenkens, kurz auf den Tasten zu klappern. Ein weiteres Zögern, Angersbach warf einen Blick auf das Getippte und nickte. Mit aufeinandergepressten Lippen klickte sie auf »Senden«.
    »Erledigt«, sagte sie und fügte hinzu, als wolle sie sich rechtfertigen: »Mehr als ›Was wollen Sie von mir?‹ ist mir nicht eingefallen.«
    »Das geht schon klar«, entgegnete Angersbach. »Bisher wissen wir ja nicht, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Zwei Schreiben, aber nur eine vage Forderung. Nicht gerade das, was man einen typischen Erpresser nennt.«
    »Vielleicht beabsichtigt er ja genau das«, dachte Sabine laut. »Er schreibt von Millionen Euro und setzt dies in Zusammenhang mit Milch.«
    »Eine Million«, berichtigte Angersbach und tippte mit dem Zeigefinger auf die Textstelle, die auf rot hinterlegtem Hintergrund leuchtete. »Man stolpert dabei vor allem über die falsche Grammatik.« Beide Worte schienen ein zusammenhängender Teil einer Überschrift gewesen zu sein, das zumindest ließen die in Großbuchstaben gesetzten Worte vermuten.
    »Womöglich war er zu bequem, um den Text auseinanderzuschneiden. Oder er hatte es eilig.«
    Für weitere Spekulationen war keine Zeit mehr, denn erneut meldete sich das Systemsignal des Notebooks mit einem einzelnen, dezenten Klang, der alle drei erschrocken zusammenfahren ließ.
E-Mail für Dich.
    Aber so schnell?
    Du hörst von mir – wann, bestimme ich.
    Bis dahin gibt’s nichts Neues, doch ich melde mich
    PS : Bullen weg vom Fenster!
    Sabine Kaufmann wiederholte das Gelesene laut. Angersbach kommentierte die prompte Rückantwort: »Wow, das ging aber fix.«
    Doch Sabine hatte bereits einen Verdacht. In der Betreffzeile stand diesmal ›Ihre Mail an p 4 r 4 [email protected]‹. Sie wandte sich an Claudia: »Schicken Sie Ihre letzte Mail bitte

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