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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
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Unkenntnis glaubhafter nachzuweisen: »Ihr Mann sollte wenigstens den Schlüssel abziehen, wenn er das Fahrzeug schon so offen rumstehen lässt«, tadelte er.
Jetzt musterte ihn die Frau genauer und schien ihn zu erkennen. »Sie woll’n zum Ludwig, wa?«
»Richtig. Ist er da?«
»Inner Küche. Beim Essen. Mit den annern. Kommse«, lud sie ihn freundlich ein. Wenzels Frau hatte dunkles, glänzendes Haar, das ihr offenes Gesicht mit den großen braunen Augen in leichten Wellen umschloss. Ein simples Gummiband fasste es zu einem lockeren Zopf zusammen. Auf den zweiten Blick wurde hier eine wirkliche Schönheit sichtbar, und Walter stellte sich einen Moment lang vor, wie bezaubernd diese Frau ausgeruht und in anderer Kleidung aussehen würde. Jetzt trug sie nämlich mit Gummistiefeln, Trainingshose, Pullover und Kittelschürze die übliche Alltagstracht vieler Bäuerinnen. Und das Wort ausruhen kannte sie wahrscheinlich auch nur aus dem Fernsehen, dachte Walter, als er wenig später in die Küche kam, wo drei weitere kleine Kinder – alles Jungen? – mit ihrem Vater auf einer hölzernen Eckbank um den Tisch saßen. Wenzel hatte ein ehemals weißes Unterhemd an, die Kinder verschiedenfarbige ausgewaschene T-Shirts.
Ludwig Wenzel unterbrach, immer noch lachend, sein offenbar recht vergnügtes Gespräch, und neugierig wandten sich vier Gesichter dem Besucher zu. Der Kleinste nutzte die Situation, um die Leberwurst von seiner in Stückchen geschnittenen Brotscheibe zu lecken. Die beiden anderen Sprösslinge kabbelten glucksend ein wenig herum und sahen dann prüfend zu ihrem Vater, doch der übersah ihre kindliche Provokation gelassen.
»Ach. Du noch mal«, fiel zumindest die Begrüßung durch den Hausherrn wenig enthusiastisch aus.
Walter Dreyer sah, wie eine Kinderhand langsam unter dem Tisch verschwand und ein leer geschlecktes Brotstückchen auf den Küchenboden fiel. Aus dem Dunkel unter der Holzbank, auf der die Kinder saßen, erschien eine kleine schwarze Schnauze, schnappte vorsichtig zu und verschwand wieder. Als das Fell des Hündchens dabei den Fuß des Jungen streichelte, lächelte der Häppchenspender glücklich.
»Ja. Ich muss dich noch was fragen«, erklärte Walter, »ich kann aber draußen warten.«
»Kommt nich infrage. Kinder, rückt mal«, forderte Wenzel und winkte Walter aufgeräumt an den Tisch.
Der setzte sich auf den frei werdenden Platz neben dem Kleinsten und wurde von dessen zappelnden Brüdern zunächst einmal intensiv gemustert. Die Hand seines Sitznachbarn verschwand erneut vorsichtig unter dem Tisch und Walter spürte am linken Hosenbein in Knöchelhöhe eine sachte Berührung. Er hörte den Kleinen erleichtert durchatmen, als er so tat, als würde er das nicht bemerken. Walter schielte zu Seite und wurde mit einem strahlenden Kinderlächeln belohnt.
Wenzels Frau stellte ein Holzbrettchen vor ihn hin, legte ein Messer dazu und fragte: »Kaffee auch?«
Doch Walter bekam gar keine Gelegenheit zur Antwort, so schnell stand der gefüllte Becher vor ihm. Dann setzte sich Frau Wenzel auf den Stuhl neben ihrem Mann und verlangte freundlich: »Na los, essen Sie.«
Die Bewirtung kam für Walter unerwartet. Er kannte Ludwig Wenzel zwar, wie man sich auf dem Dorf eben so über den Weg läuft, und hatte von einigen Kindern gehört, doch mehr als einen guten Tag und guten Weg hatte es bisher nicht gegeben. Die Kinderschar war beeindruckend, wie auch die Frau mit ihrer freundlichen Gelassenheit.
Walter nahm eine Scheibe Brot und belegte sie mit Räucherschinken, den er mit ein wenig fein gemahlenem Pfeffer bestreute. Interessiert verfolgte die gesamte Familie seinen ersten Happen, und als er kauend lobte: »Schmeckt richtig gut«, sahen sich alle zufrieden an.
»Gehn wir in die Stube«, schlug Wenzel vor, griff nach seinem Becher und stand auf. Walter Dreyer machte aus seinem Brot eine Klappstulle, schnappte sich den Kaffee und folgte ihm.
Wenzel schloss die Tür hinter ihnen und ließ sich auf ein voluminöses Sofa plumpsen. Walter nutzte einen Polsterhocker als Sitzgelegenheit. Das hier war die Alltagsstube im Haus, mit Fernseher, abgenutzter Sitzgruppe, Tischchen, Nähmaschinenschrank und einem kleinen Regal, in dem verschiedenste zerlesene Illustrierte und diverse Brettspiele gestapelt lagen. Der schmucklose Kachelofen war ungeheizt.
»Ludwig, wegen heute Morgen muss ich dir noch ein paar Fragen stellen«, begann Walter sein Anliegen vorzutragen.
»Na, mach.«
Walter schluckte den letzten Happen

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