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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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anzieht,
den Rücken, um uns dem Schwierigen zu nähern. Wir lassen unsere tröstlichen Gewohnheiten
hinter uns, in der Hoffnung (lediglich der Hoffnung!), dass uns für das, was
wir aufgeben, etwas Größeres zuteil wird. Jede Religion der Welt hat im Grunde
dieselben Vorstellungen davon, was es heißt, ein guter Jünger zu sein, nämlich:
zeitig aufzustehen und zu seinem Gott zu beten, seine Tugenden zu
vervollkommnen, ein guter Mensch zu sein, sich und andere zu achten, seine Lust
zu beherrschen. Leichter wäre es auszuschlafen, darüber sind wir uns alle einig,
und viele von uns tun es, aber seit Jahrtausenden gibt es auch die anderen, die
es vorziehen, sich schon vor Tagesanbruch zu erheben, ihr Gesicht zu waschen
und zu beten. Und die dann entschlossen versuchen, durch den Wahnsinn eines
weiteren Tages hindurch an ihren religiösen Überzeugungen festzuhalten.
    Die Frommen dieser Welt vollziehen ihre Rituale ohne
Garantie, dass sie damit etwas Gutes bewirken. Selbstverständlich gibt es
Unmengen von Schriften, die alle möglichen Belohnungen für gute Werke verheißen
(oder Strafen androhen bei nicht geleisteten Werken); doch allein dies alles zu
akzeptieren, ist ein Glaubensakt, weil keiner von uns das Endspiel erleben
wird. Religiöse Hingabe ist ständiges Bemühen ohne Sicherheiten und Garantien.
Glaube ist eine Art zu sagen: »Ja, schon im Voraus akzeptiere ich die Bedingungen
des Universums, schon im Vorhinein umfasse ich, was ich jetzt noch nicht
begreifen kann.« Es hat seinen Grund, warum wir von »Glaubenssprüngen« sprechen
- denn die Entscheidung, einen Göttlichkeitsbegriff zu bejahen, ist ein
mächtiger Sprung aus dem Rationalen hinüber ins Unfassbare, und es ist mir
egal, wie geduldig Gelehrte aller Konfessionen uns zu überzeugen versuchen und
in ihren theologischen Schriften beweisen wollen, dass ihr Glaube rational
sei; er ist es nicht. Wäre der Glaube rational, so wäre er - definitionsgemäß
- kein Glaube mehr. Glaube bedeutet, von dem überzeugt zu sein, was man nicht
sehen, beweisen oder berühren kann. Heißt, mit Volldampf und Blick nach vorn
ins Dunkel zu marschieren. Wüssten wir die Antworten auf die Fragen nach dem
Sinn des Lebens, dem Wesen Gottes und der Bestimmung unserer Seele wirklich im
Voraus, wäre unser Glaube kein Sprung ins Ungewisse mehr und erst recht kein
mutiger Akt; er wäre lediglich ... eine renditeträchtige Versicherungspolice.
    Ich interessiere mich nicht für die Versicherungsbranche.
    Ich bin der Skepsis müde, habe die spirituelle Vorsicht
satt, und die Debatten langweilen und öden mich an. Ich will das alles nicht
mehr hören. Evidenz und Beweis und Versicherungen sind mir völlig schnuppe.
Mir geht es allein um Gott. Ihn will ich - ihn in mir.
     
    58
     
    Meine Gebete werden bewusster und konkreter. Immer mehr
gewinne ich den Eindruck, dass es nicht viel Sinn hat, Gebete ins Universum zu
schicken, die träge sind. Jeden Morgen vor dem Meditieren knie ich im Tempel
nieder und unterhalte mich ein paar Minuten mit Gott. Zu Beginn meines Ashram-Aufenthalts
war ich bei diesen Gesprächen oft stumpfsinnig und gleichgültig. Und so müde,
verwirrt und gelangweilt, wie ich war, klangen auch meine Gebete. Eines Morgens
kniete ich nieder, berührte mit der Stirn den Boden und murmelte an meinen
Schöpfer gewandt: »Ach, ich weiß auch nicht, was ich brauche aber du hast
sicher ein paar Ideen ... Also hilf mir, ja?«
    So oder so ähnlich habe ich oftmals auch zu meinem Friseur
gesprochen.
    Man kann sich durchaus vorstellen, dass Gott ein solches
Gebet mit hochgezogener Augenbraue quittiert und folgende Botschaft
zurückschickt: »Ruf mich wieder an, wenn du's wirklich ernst meinst.«
    Natürlich weiß Gott, was ich brauche. Die Frage aber lautet:
Weiß ich es? Sich Gott in hilfloser Verzweiflung zu Füßen zu werfen, mag ja
schön und gut sein (und ich habe es, weiß der Himmel, schon viele Male getan),
aber letztlich bringt das nur Erfolg, wenn man seinen eigenen Teil dazu beiträgt.
Es gibt einen wunderbaren italienischen Witz über einen armen Mann, der jeden
Tag in die Kirche geht, vor der Statue eines großen Heiligen betet und diesen
dabei anfleht: »Lieber Heiliger, schenk mir doch - bitte, bitte, bitte - die
Gnade, in der Lotterie zu gewinnen.« Dieses Gejammer zieht sich über Monate
hin. Schließlich wird die Statue lebendig, blickt auf den bettelnden Mann
hinunter und sagt verärgert: »Mein Sohn, kauf dir doch - bitte,
bitte, bitte - ein Los.«
    Gebet

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