Gilbert, Elizabeth
du dich beworben? Wofür
interessierst du dich? Wann hast du Geburtstag?« Und ehe Tulsi sich's
versieht, wird ihr Vater einen großen Umschlag in seiner Post finden, mit einem
Foto vom Enkel dieser Frau, der in Delhi Informatik studiert, sowie seinen
astrologischen Daten, seiner Examensnote und der unvermeidlichen Frage: »Hätte
Ihre Tochter vielleicht Lust, ihn zu heiraten?«
»Es ist ätzend«, meint Tulsi.
Aber der Familie ist es so wichtig, ihre Kinder
verheiratet zu sehen. Tulsi hat eine Tante, die sich zum Dank dafür, dass ihre
älteste Tochter - im hohen Alter von achtundzwanzig Jahren - schließlich doch
noch unter die Haube kam, den Kopf rasierte. Und auch Tulsi ist laut eigener
Aussage ein schwer zu verheiratendes Mädchen. Ich fragte sie, wodurch ein
indisches Mädchen zur schwierigen Partie werde, und sie sagte, dafür gebe es
alle möglichen Gründe.
»Wenn sie ein schlechtes Horoskop hat. Wenn sie zu alt
ist. Zu dunkelhäutig. Wenn sie zu gebildet ist und man keinen Mann findet, der
eine höhere Stellung bekleidet als sie, denn eine Frau darf nicht gebildeter
sein als ihr Mann. Oder wenn sie schon mal eine Affäre gehabt hat und das ganze
Dorf, die ganze Stadt davon weiß ...«
Rasch ging ich die Liste durch, um zu ermitteln, welche
Heiratschancen ich in der indischen Gesellschaft wohl noch hätte. Ob mein
Horoskop gut oder schlecht ist, weiß ich zwar nicht, aber ich bin definitiv zu
alt, viel zu gebildet, und meine Moral ist, erwiesenermaßen, ziemlich lax ...
Ich bin keine viel versprechende Partie. Zumindest bin ich hellhäutig. Das ist
das Einzige, was zu meinen Gunsten ausschlägt.
Letzte Woche musste Tulsi auf die Hochzeit einer weiteren
Cousine und erklärte (auf sehr unindische Weise), wie sehr sie Hochzeiten
hasse. All das Getanze, all der Tratsch. Lieber schrubbe sie im Ashram Fußböden
oder meditiere. Niemand in ihrer Familie könne sie verstehen; ihre Gottesliebe
gehe weit über das hinaus, was man in ihrer Familie für normal erachte. »Meine
Familie«, sagt Tulsi, »hat mich schon aufgegeben, ich bin zu anders. Inzwischen
habe ich den Ruf, fast immer das Gegenteil von dem zu tun, was man mir sagt.
Ich kann auch ziemlich jähzornig werden. Und ich bin keine fleißige Schülerin,
aber jetzt werde ich es sein, weil ich jetzt aufs College gehe und mich dort
selbst für meine Fächer entscheiden kann. Ich will Psychologie studieren, wie
unsere Meisterin. Man hält mich für schwierig. Man sagt mir nach, dass ich nur
dann gehorche, wenn man mir gute Gründe nennt. Meine Mutter weiß das und
bemüht sich, ihre Wünsche und Anordnungen zu begründen, mein Vater nicht. Er
nennt mir zwar Gründe, aber ich finde sie nicht hinreichend. Manchmal frage ich
mich, warum ich in diese Familie hineingeboren wurde, ich habe gar nichts mit
meinen Eltern und Geschwistern gemeinsam.«
Tulsis Cousine, die letzte Woche geheiratet hat, ist erst
einundzwanzig, Tulsis ältere Schwester ist mit zwanzig die Nächste auf der
Liste der Heiratskandidatinnen, das heißt: Der Druck auf Tulsi, nun ihrerseits
einen Mann zu finden, wird sich danach verstärken. Ob sie denn heiraten wolle,
fragte ich sie, und sie antwortete: »Nein!«
»Ich will reisen!«, sagte sie. »Wie du.«
»Ich konnte nicht immer so herumreisen, Tulsi, weißt du.
Ich war einmal verheiratet.«
Stirnrunzelnd betrachtete sie mich durch das zersplitterte
Glas ihrer Brille, musterte mich prüfend, als hätte ich ihr erzählt, ich sei
mal brünett gewesen, und als versuchte sie nun, sich das vorzustellen.
Schließlich erklärte sie: »Du, verheiratet? Das kann ich mir nicht
vorstellen.«
»Aber es stimmt - ich war verheiratet.«
»Hast du Schluss
gemacht?«
»Ja.«
»Das halte ich für sehr löblich«, sagte sie. »Du machst einen
ungeheuer glücklichen Eindruck. Aber ich - warum bin ich bloß hier gelandet?
Weshalb bin ich als indisches Mädchen auf die Welt gekommen? Es ist empörend!
Warum wurde ich in diese Familie hineingeboren? Warum muss ich auf so viele
Hochzeiten gehen?«
Dann lief Tulsi frustriert im Kreis herum und rief: »Ich
will in Hawaii leben!«
60
Auch Richard aus Texas war mal verheiratet. Er hat aus dieser
Ehe zwei Söhne, die inzwischen beide erwachsen sind und ihrem Vater nahe
stehen. Manchmal, in der einen oder anderen Anekdote, erwähnt Richard seine
Exfrau, und er scheint immer voller Zuneigung von ihr zu sprechen. Ich werde
jedes Mal ein bisschen neidisch, wenn ich das höre und mir vorstelle, wie
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