Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
Fall daran denken, wie gut er roch. »Was hast du mit der Überlebenden gemacht?«
»Dmitri hat sie zu unseren Heilern gebracht.«
»Weil sie vielleicht infiziert ist. Womit?«
»Mit Urams Wahnsinn.«
Sie war so verblüfft über seine ehrliche Antwort, dass sie sich erst wieder fangen musste. »Das ist unmöglich. Wahnsinn ist doch nicht ansteckend.«
»Urams Art vielleicht schon.«
Oh Gott. »Aber sie ist doch ein Mensch.«
Kobaltblau flackerte es in seinen Augen. »Das war sie. Was sie jetzt ist, werden uns die Ärzte sagen.« Er schwieg einen Moment. »Wir wissen, dass sie ein wenig von Urams Blut zu sich genommen hat– es könnte aus Versehen passiert sein, wahrscheinlicher ist aber, dass er sie gezwungen hat, von sich zu trinken.«
Elena kämpfte gegen das Gefühl des Mitleids an, das sie in sich aufsteigen fühlte. Diese Frau– Mädchen eigentlich– hatte den Versuch eines Ungeheuers überlebt, der ihr ganzes Sein auslöschen wollte. Eine verdammte Tapferkeitsmedaille hatte sie verdient, aber kein Mitleid. »Wenn sie sich angesteckt hat, wirst du sie dann töten?«
»Ja.«
Eigentlich hätte sie ihn dafür hassen müssen, konnte es aber nicht. »Vor vier Jahren«, hörte sie sich sagen, »gab es an den Ufern des Mississippi eine ganze Serie von Morden. Junge Männer wurden mit herausgerissenen Augen erwürgt aufgefunden.«
»Ein Mensch.«
»Ja. Ein Jäger.« Einst war Bill James ein Freund von ihr gewesen und davor ihr Ausbilder. »Wir– Ransom, Sara und ich– hatten den Auftrag, ihn aufzuspüren und zu exekutieren.« Jäger kümmerten sich immer selbst um ihresgleichen.
Eine kühle Brise streifte sie, als Raphael seine Flügel schüttelte. »So viele Albträume in deinem Kopf.«
»Sie sind ein Teil von mir geworden.«
»Hast du den Jäger getötet?«
»Ja.« Am Ende waren nur noch sie beide übrig geblieben. »Sara war schwer verletzt, Ransom zu weit weg, und Bill wollte gerade einen völlig verschreckten Jungen umbringen. Also habe ich ihm ein Messer durch das Herz gebohrt.« Damals hatte sie keine Zeit mehr gehabt, nach einer Pistole zu greifen, alles war voller Blut gewesen. Der anklagende Blick in seinen Augen, als sein Herz den letzten Schlag tat, befand sich irgendwo im Chaos ihrer Erinnerungen. Jetzt blickte sie in ein anderes Augenpaar. »Wenn aus dem Mädchen ein Ungeheuer geworden ist, muss sie sterben.«
»Bin ich ein Ungeheuer, Elena?«
Sie blickte in sein makelloses Gesicht, in dem sich trotz allem Spuren der Zeit und begangener Grausamkeiten spiegelten. »Noch nicht«, flüsterte sie. »Aber du könntest es werden.«
Entschlossen schob er sein Kinn vor. »Es ist ein Zeichen von Alter– die Grausamkeit.«
Der Gedanke, dass Raphaels Menschlichkeit– die zwar tief verborgen, aber immerhin vorhanden war– eines Tages vergehen würde, erfüllte sie mit Traurigkeit. Gleichzeitig empfand sie seine Unsterblichkeit auch als Trost, denn etwas so Erhabenes durfte niemals sterben. »Erzähl mir von der Stille.«
Raphael hatte seine Schwingen in voller Pracht ausgebreitet. »Wir müssen zu Michaela, vielleicht kannst du bei ihr zu Hause Urams Witterung aufnehmen– es ist gut möglich, dass er ihr Haus schon Stunden vorher beobachtet hat.«
Frustriert seufzte sie. »Na gut. Fliegen wir?« Sie bekam Herzflattern– allmählich gewöhnte sie sich daran, in Raphaels Armen zu liegen und zu fliegen, getragen von seinem gleichmäßig kraftvollen Flügelschlag.
»Nein«, sagte er und verzog seinen Mund dabei zu einem Lächeln, ganz so, als habe er ihre Vorfreude gespürt.
»Michaelas amerikanischer Wohnsitz ist direkt nebenan.«
»Wie praktisch.« Um sich in Raphaels Bett zu stehlen.
Endlich ließ er ihr so viel Platz, dass sie vom Tisch hinunterrutschen konnte. »Im Laufe der Jahrhunderte hat Michaela schon viele Rollen gespielt– Gelehrte, Kurtisane, Muse–, doch eine Kriegerin ist sie nie gewesen.«
Meine Liebhaberinnen waren alle sehr kriegerisch.
Sie stellte sich die Frage, wie viele dieser Frauen wohl so dumm gewesen waren wie sie– dumm genug, um sich in seine Arme zu werfen, obwohl sie wussten, dass er sie im Ernstfall mit einem einzigen letzten Gedanken vernichten würde. »Für diese Kriegerin wird es höchste Zeit, sich endlich ihr Gehalt zu verdienen.«
Blutrausch
Satt und träge fühlte er sich, das Blut lag ihm schwer im Magen.
Er hatte seiner Leidenschaft zu sehr gefrönt, doch mit welch großem Genuss!
Vor sich hatte er eine Schale mit Blut stehen, das von
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