Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
dieser Ball. »Hat sie alle Kadermitglieder eingeladen?«
»Chari hat eine Einladung erhalten«, sagte Michaela und meinte damit einen weiteren ihrer Verflossenen, »und Neha wohl auch, also nehme ich an, dass die anderen auch eingeladen sind. Du solltest Favashi bitten, dich zu begleiten. Ich glaube, unsere persische Prinzessin hätte dich gerne zum Gemahl.«
Raphael sah Michaela an. »Wenn du die Möglichkeit hättest, jede schöne Frau auf dieser Welt zu töten, würdest du es tun?«
Unbeirrt lächelte sie weiter. »Sofort.«
Mit gerunzelter Stirn legte Elena den Hörer auf und trat hinaus auf den Balkon. »Illium, weißt du irgendetwas über Lijuans Lieblinge?«
Illium machte große Augen. »Ransom hat echt gute Quellen.«
Ja, dachte Elena, das hat er wohl. Dennoch war es ihm nicht gelungen herauszufinden, was für Wesen es waren, deretwegen die Vampire so fest mit Elenas Tod rechneten. »Wer könnte das sein?« Ihr Rücken wurde steif, als ihr eine mögliche Erklärung in den Sinn kam. »Doch nicht etwa Vampire im Blutrausch?« Gefangen in einer Spirale aus Gewalt, Trinken und Durst wurden diese Vampire zu mörderischen Soziopathen.
»Komm, kleine Jägerin. Koste.«
Illium schüttelte den Kopf und Elena schloss ganz schnell die Tür zu einer Erinnerung, die sich immer wieder in ihr Bewusstsein drängte. Von den Bergen war eine frische Brise aufgekommen und zerzauste Illium die Haare. Strahlend wie ein Juwel hob er sich gegen die Nacht ab und war dabei so schön, dass man den Blick statt auf die Sterne unweigerlich auf ihn richtete. Sie griff nach dem rettenden Anker, hielt sich am Augenblick fest. »Warum hat dich Michaela noch nicht umgebracht?«
»Ich bin ein Mann. Lieber bumst sie mich.«
Für einen Moment brachte sie diese freimütige Äußerung aus der Fassung. »Hast du?«
»Sehe ich etwa so aus, als möchte ich nach einer Nummer bei lebendigem Leib verspeist werden?«
Jetzt musste sie lächeln. Sie hielt ihr Gesicht in den Wind, erquickte sich an der frischen Nachtluft. »Was ist nun mit Lijuans Lieblingen?«
»Frag Raphael.«
Bei dem Gedanken an Raphaels momentanen Aufenthaltsort verging ihr das Lächeln wieder. Um sich abzulenken, deutete sie mit dem Kopf auf die Lichter, die sich zu beiden Seiten der Schlucht wie kleine Punkte verteilten. »Du willst mir doch nicht sagen, dass dort unten Leute wohnen?« Tief unten, weit unterhalb der Lichtpunkte bahnten sich Wassermassen ihren Weg, dennoch war das Tosen bis hier oben zu vernehmen.
»Warum denn nicht? Diese Höhlen sind richtig schöne Horste.« Sein Lächeln, ein weißer Streifen über dem Gesicht. »Ich habe auch einen. Sobald du fliegen kannst, musst du mich da mal besuchen.«
»Bei meinem Tempo werde ich achtzig sein, bis ich endlich fliegen kann.«
»Schon beim ersten Mal spürst du es«, sagte Illium leise und hob den Kopf. Im Mondlicht wirkte sein Gesicht wie verzaubert, die Haut schimmerte fast transparent, das Haar glich flüssigem Ebenholz, das übersät war mit glitzernden Saphiren. »Den ersten Flug vergisst du nie – den Windstoß, wenn sich die Flügel öffnen, das berauschende Gefühl der Freiheit und die überwältigende Freude, endlich deiner Bestimmung folgen zu können.«
Illiums Schwärmerei hätte beinahe dazu geführt, dass sie Raphael nicht gesehen hätten, der in einem weiten Bogen angeflogen kam. Beinahe. Denn nichts und niemand konnte ihre Aufmerksamkeit fesseln, wenn ihr Erzengel in der Nähe war. Illium war neben ihr ganz still geworden, doch sie bemerkte es gar nicht, denn sie hatte nur Augen für Raphael, der jetzt mit überwältigender Anmut landete. Illium war schön wie eine glänzende Klinge, aber Raphael war … Raphael war erhaben.
»Ich gehe jetzt lieber.«
Elena spürte, wie Illium sich entfernte, aber sie nahm es nur am Rande wahr, ihr Blick war fest verschweißt mit dem Erzengel, der jetzt vor ihr landete. »Wie war das Abendessen?«, fragte sie und blickte in diese unwahrscheinlich blauen Augen, die so voller Geheimnisse steckten, dass sie eine ganze Ewigkeit brauchen würde, sie zu entschlüsseln.
»Ich habe es überlebt.«
Eigentlich hätte sie das zum Lachen bringen sollen, doch sie wurde von einer leidenschaftlichen Besitzgier ergriffen – und das Wissen, dass der grünäugige Erzengel sie im Moment mühelos töten könnte, trieb den Stachel der Eifersucht nur noch tiefer in ihr Fleisch. »Hat Michaela dich bestäubt?«
»Warum siehst du nicht nach?« Er streckte seine Flügel
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