Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
Schlenkerpuppe.
Immer noch hatte Elena das Bild der leuchtend orangefarbenen Pailletten vor sich, glitzernd inmitten eines Meeres aus Blut, das Belles erstarrte Finger rot gefärbt hatte.
10
Raphael landete auf dem Außenbalkon von Elias’ Stützpunkt, ihm war klar, dass Elena nur zu gerne Hannahs Bekanntschaft gemacht hätte. Aber ihr Leben als Unsterbliche hatte noch nicht lang genug gedauert, dass Raphael sie gerne launischen Erzengeln oder anderen Engeln anvertraut hätte. Außerdem war es sicher kein Zufall, dass sowohl Michaela als auch Elias ausgerechnet jetzt in der Zufluchtsstätte aufgetaucht waren.
Der Duft von Magnolien kündigte Hannah an, die jetzt auf den Balkon hinaustrat. »Raphael.« Sie streckte ihm beide Hände entgegen. »Lange ist es her.«
Er ergriff ihre Hände und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Über fünf Jahrzehnte.« Nur selten verließ Hannah ihr Domizil in Südamerika. »Geht es dir gut?«
Hannahs ebenholzfarbene Haut schimmerte im Licht der Nachmittagssonne, und als sie zustimmend nickte, gerieten ihre üppigen schwarzen Locken mit den glutroten Strähnchen in Bewegung. »Ich bin hier, um deine Jägerin kennenzulernen.«
»Du überraschst mich, Hannah.« Er gab ihre Hände frei und folgte ihr ins Haus.
Warm und weich erklang ihr Lachen. »Ich habe auch so meine Fehler. Einer davon ist Neugier.«
»Elena wird geschmeichelt sein, wenn sie erfährt, dass du extra ihretwegen gekommen bist.«
Hannah trat zu einem kleinen Tisch mit wundervollen Handschnitzereien und griff nach einer Karaffe aus feinstem Glas. »Wein?«
»Sehr gern.« Raphael sah sich in dem Raum um, jedes Gemälde, jeder Einrichtungsgegenstand zeugte von Hannahs gestalterischen Fertigkeiten. »Du reist mehr, als du die Leute wissen lässt.«
Ein leises Lächeln. »Elias kommt gleich. Wir sind erst vor Kurzem hier angekommen.«
»Danke!« Er nahm das goldene Getränk entgegen, der Glanz erinnerte ihn an eine andere Zeit, an einen anderen Ort. In seinen Armen eine sterbende Jägerin, ihre Haare ein weißes Segel. Und ein längst tot geglaubtes Herz, das tausend Qualen erleidet.
»Wie schmeckt es?«, fragte Hannah.
Raphael schüttelte sacht den Kopf. Ambrosia … dieser Moment, er war unbeschreiblich … und intim.
Einen Moment später beugte Hannah ihr Haupt in stillschweigender Zustimmung. »Ich freue mich so für dich, Raphael.«
Er sah sie an, ließ ihr Zeit.
»Für mich bist du immer ein Freund gewesen«, sagte sie leise. »Ich weiß, dass, wenn die anderen es hinterrücks auf Elias abgesehen hätten, du nicht mitmachen würdest.«
»Woher nimmst du diese Gewissheit?«
»Ich spüre es ganz deutlich in meinem Herzen.«
In diesem Moment kam Elias mit feuchtem Haar herein. »Raphael. Du hast ja deine Elena gar nicht mitgebracht?«
Meine Elena.
Er fragte sich, was wohl seine Jägerin davon halten würde, wenn sie so die Unsterblichen über sich sprechen hörte. »Diesmal nicht.« Eines Tages vielleicht, Elias war der einzige Erzengel, dem er womöglich genügend vertraute. Aber jetzt war es noch zu früh dafür.
»Kommt«, sagte Hannah, »setzen wir uns doch.« Sie wandte sich einen Moment lang Elias zu, und Raphael wusste, dass die beiden stillschweigend miteinander kommunizierten, denn ein Lächeln umspielte Hannahs Lippen, als sie sich niederließ.
»Also«, sagte Elias, während seine Gemahlin ihm mit einer anmutigen Bewegung ein Glas Wein einschenkte, »ich habe gehört, dass Michaela uns mit ihrer Anwesenheit beehrt.«
»Anscheinend findet sie neuerdings Gefallen an der Zufluchtsstätte.«
Elias verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Hat Hannah dir schon von ihrem neuesten Bild erzählt? Es ist ganz außergewöhnlich.«
»Ich habe doch gerade erst damit angefangen«, wandte Hannah ein. »Aber es malt sich wie von selbst.«
Die nächste halbe Stunde verging in leichtem Geplauder, und wenngleich Raphael mit nichts anderem gerechnet hatte, wurde er dennoch ungeduldig. Für ihn ein ganz neues Gefühl – in seinem langen Leben hatte er die Kunst der Geduld gelernt. Aber dann war er einer Jägerin begegnet, und alles hatte sich verändert.
Endlich stand er alleine mit Elias auf dem Balkon, Hannah hatte sich zurückgezogen. »Erzählst du ihr eigentlich alles?«, fragte Raphael.
»Solch eine persönliche Frage bin ich von dir gar nicht gewöhnt.«
»Elena hat mich nach den Beziehungen zwischen Engeln gefragt. Ich weiß so wenig darüber.«
Elias sah hinab auf den Fluss, der tief
Weitere Kostenlose Bücher