Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
war.
»Wie schwer sind Ihre Verletzungen?« Kalt und abschätzig betrachtete er sie, für ihn war sie nichts weiter als ein Werkzeug.
»Ich bin voll einsatzfähig«, sagte sie. Auch mit steifen Gliedern und einem dumpfen Schmerz in der Brust würde sie arbeiten können. »Nichts gebrochen.«
»Vielleicht müssen Sie jemanden aufspüren.«
»Dieser Teil von mir ist immer intakt. Wie Sie ja nur zu gut wissen.«
»Ich will ja nicht, dass Sie aus der Übung kommen.« Die Worte waren lässig dahingesagt, aber seine Augen waren die eines Raubtiers auf Beutejagd. Mit weit ausholenden Schritten näherten sie sich einem Teil der Zufluchtsstätte, in dem es vor allem mittelgroße Behausungen für Familien gab.
In allen Fenstern brannte Licht, aber es herrschte eine unheimliche Stille.
»Hier entlang.« Dmitri folgte einem schmalen Weg, der von Laternen erleuchtet wurde, die aus England Mitte des 19. Jahrhunderts stammen könnten. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken wild durcheinander, doch sie heftete ihre Augen auf den Weg vor sich, der hier und dort eine Biegung machte, bis er schließlich auf ein kleines Haus am Rande eines Steilhangs zuführte.
Eine fantastische Lage.
Von dem Hang aus konnte man kinderleicht abfliegen und davor bequem landen. Aber für Leute, die zu Fuß unterwegs waren, gab es nur einen einzigen Weg, nämlich den, den sie gekommen waren. Eine geradezu lächerlich einfache Fährte. Also warum sollte Raphael jemanden brauchen, der die Witterung aufnahm?
Elena.
Sie folgte Raphaels Stimme in ihrem Kopf und ging auf das Haus zu … dem Geruch von verrostendem Eisen entgegen. Vor der Haustür erstarrte sie, ihre Füße weigerten sich über die Schwelle zu treten.
Tropf.
Tropf.
Tropf.
Komm, kleine Jägerin. Koste.
Die Erinnerungen ergriffen sie, warfen sie mit solch jäher Brutalität in die Vergangenheit zurück, dass sie ohnmächtig darin versank.
Als sie das Zimmer betrat, war Belle noch am Leben. Aber nur einen kurzen Augenblick, über ihren Augen hing schon der Schleier des Todes, Elena streckte die Hand nach ihr aus …
Der Duft von feinster Schokolade und Champagner versprachen Lust und Schmerz gleichermaßen. Sie spürte die Erregung in sich aufsteigen, und da dies im Moment völlig unangebracht war, durchtrennte sie die Endlosschleife ihrer Albträume. Mit einem kleinen Seufzer trat sie über die Schwelle und zwang sich, in ein weiteres Haus zu treten, dem das Böse seinen Stempel aufgedrückt hatte.
Dmitris Duft löste sich sofort in nichts auf. Er hatte sich zurückgezogen, weil er wusste, dass sie mit seinem intensiven Geruch in der Luft keine Spuren verfolgen konnte. Aber er war lange genug geblieben, um ihr innerlich einen Ruck zu geben, als sie noch zögernd auf der Schwelle gestanden hatte.
Sie stand in seiner Schuld.
Mit finsterem Blick versuchte sie sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Ganz eindeutig war der Raum hier mit seinen großzügigen Dimensionen und der gewölbten Decke der zentrale Wohnraum. In den Regalen an den Wänden standen Bücher, und zu ihren Füßen lag ein handgewebter Teppich in Persischblau. Links von ihr stand eine Tasse auf einem kleinen, kunstvoll geschnitzten Tisch, darunter lag etwas, das so aussah wie ein Kuscheltier. Beim Anblick dieses zerfetzten Dings wurde ihr plötzlich ganz kalt. Wie sie nun wusste, hatten Engel sehr wohl Kinder.
Sie straffte die Schultern und wappnete sich gegen die kommenden Schrecken. Die Türen zu beiden Seiten des Korridors überging sie und wandte sich, ohne zu zögern, dem hinteren Zimmer zu.
Blutverschmierte weiße Wände.
Das Schluchzen einer Frau.
Ein umgestürztes Glas, ein scharlachroter Apfel auf der Kommode.
Gedanken wie splitterndes Glas. Ihr schnürte sich die Kehle zu, ihr ganzer Körper war erstarrt, dennoch zwang Elena sich, zu bleiben, zu sehen. Als Erstes nahm sie Raphael wahr, der vor einem anderen Engel kniete, einer winzigen Frau mit zerzausten blauschwarzen Locken und staubbraunen, weiß gestreiften Flügeln. Raphaels eigene Flügel waren nachlässig auf dem Boden ausgebreitet. Dass das Blut den Goldton seiner Flügel in fleckiges Umbra verwandelte, kümmerte ihn nicht.
Finde ihn! Ein Befehl, unter dem ein Meer von Gefühlen toste.
Elena nickte, atmete tief ein … und wurde von Gerüchen überflutet.
Frischer Apfel.
Geschmolzener Schnee.
Ein Hauch von in Schokolade getauchten Apfelsinen.
Ohne sich übermäßig zu wundern, wie ihre Jagdinstinkte mittlerweile auf Vampirgerüche
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