Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
breitete seine Flügel über sie, während der Wind wieder und wieder zustieß. Spürst du es?
Auf seine Frage hin verharrte sie regungslos. Der Wind … trug einen Geruch mit sich. Schwach. Sehr schwach. Und so ungewöhnlich, dass sie ihn nicht zuordnen konnte – sie wusste nur, dass es derselbe Geruch war, den sie in dem Moment wahrgenommen hatte, als ihre Flügel weggeknickt waren. Was ist das?
Eine seltene schwarze Orchidee, die in den Tiefen des Amazonas-Regenwaldes vorkommt.
Sie zitterte. »Sie ist es wirklich ?«
So scheint es.
Als das Wüten des Windes nach einem letzten scharfen Stoß endlich erstarb, sah sie auf und strich Raphael die mitternachtfarbenen Haare aus dem Gesicht. Damit brachte sie seine unglaublich maskuline Schönheit zum Vorschein, die Sterbliche zum Weinen bringen konnte. »Sie ist noch nicht besonders stark .« Das Ganze hatte höchstens eine Minute gedauert.
»Nein .« Aber es sieht so aus, als hätte sie meine Gemahlin bemerkt.
»Oh Mann, bin ich heute langsam .« Der Windstoß über dem Hudson war keine zufällige Bö gewesen. Er war gegen sie gerichtet gewesen, und sie hätte sich sämtliche Knochen brechen können, wenn sie mit hoher Geschwindigkeit auf dem Wasser aufschlagen wäre. »Sie ist also bei Bewusstsein ?«
Raphael schüttelte den Kopf. »Ich habe Jessamy mit einigen Nachforschungen beauftragt « , er sprach von der Frau, die der Speicher des himmlischen Wissens war, die Hüterin ihrer Geschichte … und einer der freundlichsten Engel, die Elena je kennengelernt hatte. »Komm, lass uns drinnen darüber reden .«
Sie gingen ins Haus und schlugen den Weg zur Bibliothek ein, einem Raum, der die neugierige Seite ihres Charakters ganz besonders reizte. Als sie ihn das erste Mal betreten hatte, waren ihr nur die Bücher in den Regalen aufgefallen, die sich von einer Wand zur anderen erstreckten, darüber hinaus der Kamin auf der linken Seite sowie die prachtvollen Stühle und der Tisch aus Holz, die unter dem Fenster standen.
Und wie alle Engelszimmer hatte dieses eine himmelhohe Decke, doch diese hier war ein Kunstwerk: Die Holzbalken waren mit akribischer Liebe zum Detail geschnitzt und mit Intarsien aus dunkleren Teilen versehen, deren Umrisse sich perfekt einpassten. »Aodhan ?«
»Nein « , sagte Raphael. »Es wurde von einem Menschen angefertigt. Einem Meister seines Handwerks .«
»Fantastisch .« Sie dachte daran, wie stolz dieser Mann gewesen sein musste, einen solchen Raum für einen Erzengel erbauen zu dürfen.
Raphael strich ihr mit der Hand über das Haar. Seine Berührung fühlte sich merkwürdig zart an.
»Ja, Erzengel ?«
»Ich bin viel mächtiger als zu jener Zeit, als Caliane verschwunden ist .« In seinen Worten lag eine quälende Mischung aus Schmerz und Erinnerung. »Aber ich bin immer noch ihr Sohn. Tausende und Abertausende Jahre jünger .«
Elena schüttelte den Kopf. »Du warst auch jünger als Uram. Und doch hast du gewonnen .«
»Meine Mutter ist jenseits von Uram, jenseits von Lijuan .« Bei Raphaels Worten lief es Elena kalt den Rücken hinunter. »Sie hat zigtausend Jahre als Erzengel gelebt. Und es gibt keine Kenntnis darüber, was aus ihr geworden ist .«
Bei dem Gedanken daran, was Lijuan aus Peking gemacht hatte, an den Gestank von Rauch und Tod, der nun über dem leeren Krater hing, der einst eine pulsierende, lebendige Stadt gewesen war, spürte Elena, wie Angst sich um ihr Herz krallen wollte. Sie weigerte sich jedoch, sie zuzulassen, ihre Liebe zu Raphael war stärker als alle vorstellbaren Feinde. »Sie weiß auch nicht, was aus dir geworden ist .«
Der Gesichtsausdruck ihres Erzengels änderte sich nicht, doch sie wusste, dass er sie gehört hatte. »Jessamy « , sagte er, »hat mir gesagt, dass sich Caliane derzeit vermutlich in einer Art Halbschlaf befindet. Sie hat einen Anflug von Bewusstsein, aber sie weiß noch nichts von den Taten, die sie begeht .«
»Sie könnte das alles also für einen Traum halten ?«
Er legte ihr die Hand in den Nacken und zog sie näher zu sich heran. »Ja .« Sein Kuss war mehr als nur ein bisschen gefährlich. Aber wir sind nicht hergekommen, um über Caliane zu sprechen.
Sie presste ihre Lippen auf die harte Kante seines Kinns, und als sie sich fallen ließ, schmolzen die letzten Überreste der Angst unter der Vorfreude dahin. »Lass uns ein bisschen ins Schwitzen kommen .«
15
Eine Stunde später war Elena weit mehr als nur ein bisschen ins Schwitzen gekommen. Raphael hatte ihr den
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