Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
Offenbar hatte er etwas gesehen, das sein Bewusstsein nicht artikulieren konnte, das ihm jedoch mit Gewissheit sagte, dass Mahiya, könnte sie nach ihrem freien Willen handeln, leuchtende, fröhliche Juwelen wie Zitrin und Peridot, Aquamarin und kanariengelbe Diamanten tragen würde.
»Amesyst. Spricht man es so aus?«
»Fast. Hör zu, ich sage es noch einmal. Amethyst.«
Bei diesem Erinnerungsfetzen senkte er kurz die Lider, ehe er sich wieder auf das Schmuckstück konzentrierte. Es war ein unauffälliger, hübscher Ring von der Art, wie eine Frau ihn ständig trägt. Ein Alltagsstück, vielleicht etwas von sentimentalem Wert. Trotz seiner Schlichtheit hatte der Opal eine feine Tönung und stammte dem Design nach von einem Meisterjuwelier, den Jason in Jaipur kannte. Dass er einem Diener gehörte, wäre also selbst dann unwahrscheinlich gewesen, wenn Dienstmädchen in Eris’ Palast zugelassen gewesen wären.
Und wenn man Eris’ Neigungen berücksichtigte, war eine harmlose Erklärung für die Anwesenheit des Rings so unwahrscheinlich, dass es an Unmöglichkeit grenzte. Wenn es aber tatsächlich eine andere Frau – eine Geliebte – in den Wänden von Eris’ luxuriösem Gefängnis gegeben hatte, wäre das nicht ohne das Wohlwollen und Stillschweigen von zumindest einer Schicht der Wachposten möglich gewesen.
»Sprachgewandt war er schon immer.«
Wenn man zu Eris’ Charme noch Reichtum hinzurechnete und vielleicht eine gemeinsame Geschichte mit den Wachmännern – denn viele Wachen der Eliteeinheit dienten dort schon seit Jahrhunderten –, hatte das womöglich ausgereicht, um sie vergessen zu lassen, wem sie eigentlich dienten. Neha hatte ihren Gemahl stets in teuerste Pelze und Seide gekleidet und ihm die strahlendsten Juwelen geschenkt – wenn er davon ein oder zwei Stücke »verloren« hatte, hätte es der Erzengel wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, geschweige denn sich etwas daraus gemacht.
Es war sogar denkbar, dass die Männer auch ohne finanzielle Anreize Mitleid mit dem umtriebigen Ehemann gehabt hatten. In den meisten Verbindungen unter Engeln hätte so etwas das Ende der Beziehung bedeutet, nicht lebenslange Gefangenschaft, die ihm für alle Zeit den Weg in den Himmel verwehrte. Ja, Jason konnte sich durchaus vorstellen, wie sich die Wachen zum Wegsehen überreden ließen, während Eris sich amüsierte.
Ein Diener, der ihm noch immer die Treue hielt, hätte die Nachrichten für den ersten Kontakt überbringen können, nachdem Eris durch die filigrane Steinstruktur an dem kleineren Balkon, der zum Innenhof lag, das Objekt seiner Zuneigung erspäht hatte.
Nachdem Jason sich das Muster des Rings eingeprägt und sich vergewissert hatte, dass sich an der Innenseite keine Gravur befand, steckte er ihn wieder ein. Er hatte noch nicht genügend Informationen, um den Namen der Frau zu enthüllen, die ihn getragen hatte, aber er wusste, wo er nach ihr suchen musste. Nicht im inneren Kreis des Hofes … jedenfalls nicht in dessen Zentrum. Sie musste sich am Rand bewegen, eine schöne Frau, die glaubte, zu kurz gekommen zu sein. Eine Frau, die sich einerseits von Eris’ Aufmerksamkeiten geschmeichelt fühlte und andererseits genug Stolz in sich trug, um einem Erzengel Hörner aufsetzen zu wollen.
Immerhin war sie unverfroren genug, an Nehas Hof einen Opal zu tragen.
Niemand, der alt und intelligent genug war, würde sich auf ein solches Spiel einlassen. Wenn sie auf Eris’ Schmeicheleien hereingefallen war, musste sie jung und leicht zu beeindrucken sein. Um den Schleier ihrer Identität zu lüften, würde er sich auf das Schlachtfeld des Hofes begeben müssen, und das hatte Jason nicht vor. Mahiya, deren Augen so hell leuchteten wie die einer Katze und deren Schweigen so gespenstisch war wie das mitternächtliche Lied eines Wolfes – sie besaß die nötigen Fähigkeiten, um sich auf diesem ganz speziellen Terrain zu bewegen.
»Oder vielleicht hat der Mörder zusätzliche Garrotten als Fesseln benutzt?«
Nachdem er sein Leben lang Geheimnisse enthüllt und den dunkelsten Wahrheiten gelauscht hatte, gab es nicht mehr viel, was Jason faszinierte. Aber er musste feststellen, dass seine Gedanken immer wieder zu der problematischen Prinzessin Mahiya zurückkehrten, die nicht in ihre Umgebung passte und in deren Blick Geheimnisse lagen, die älter waren, als sie hätten sein dürfen.
Es hatte wenig zu bedeuten. Sie reizte seine intellektuelle Neugier und würde ihren Glanz verlieren, sobald er alle
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