Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
an ihm vorbeigehen wollte, schnitt Arav ihr den Weg ab. Sich durchzusetzen hätte zu einer Szene geführt, und obwohl Mahiya ihm ohne Skrupel eine Ohrfeige versetzt hätte, konnte es gefährlich sein, diesem Drang in Nehas Gegenwart nachzugeben. Denn in einem Punkt hatte Arav nicht gelogen – er und Neha waren wirklich befreundet.
Bis zu diesem Tag wusste Mahiya nicht, ob Arav sie auf Anweisung des Erzengels hin verführt und dann achtlos fallen gelassen hatte oder ob es Zufall gewesen war und dieser Mann einfach nur ein unwissendes Mädchen ausgenutzt hatte, das nicht in der Gunst des Erzengels stand und deshalb niemanden hatte, dessen Strafe Arav hätte fürchten müssen.
»Wie ich höre, teilst du deine Gemächer mit jemandem, dem du einen Blutschwur geleistet hast.« Aravs Augen funkelten. »Raphaels stummes Schoßtier.«
Stumm? Diese Beleidigung war so unsinnig, dass sie ihre Wirkung verfehlte. Jason redete nicht übermäßig viel, aber er war auch nicht vollkommen schweigsam – er zog es nur vor, nichts zu sagen, solange er nichts zu sagen hatte. »Neha«, sagte sie mit eisiger Höflichkeit, »scheint großen Respekt vor ihm zu haben.«
Seine Lippen verzogen sich und verrieten sein verdorbenes Wesen, das sie selbst erst erkannt hatte, als es schon zu spät gewesen war. »Sie trauert.«
Ah. »Bist du deswegen hier? Um Trost zu spenden?«
»Das ist das Vorrecht eines Freundes.«
»Eines Freundes, der Eris’ Platz einnehmen möchte.«
»Ich bin stärker, als er es jemals war.« Sein Hochmut stützte sich auf Fakten, denn Arav war einer von Nehas Generälen. »Wenn ich ihr Gemahl bin«, er packte Mahiyas Kinn mit Daumen und Zeigefinger, ehe sie zurückweichen konnte, »werde ich Neha bitten, dich mir als meine ganz spezielle Spielgefährtin zu überlassen.«
Dummkopf. Ohne Rücksicht darauf, dass es Nehas Aufmerksamkeit erregen könnte, entwand sich Mahiya seinem Griff. Denn wenn der Erzengel eines an seinem Hof niemals geduldet hatte, dann war es die Misshandlung von Frauen. Jeder Mann, der dabei erwischt wurde, eine Frau belästigt, geschlagen oder genötigt zu haben, wurde kurzerhand mit der Abtrennung von Körperteilen bestraft – je schlimmer der Übergriff, desto mehr Gliedmaßen büßte er ein. Das ging so weit, dass einige der Männer nicht überlebten, um sie nachwachsen zu lassen.
Dabei spielte es keine Rolle, ob die betroffene Frau in Nehas Gunst stand oder nicht, ob sie reich oder arm war, ob Bäuerin oder Hofdame. Das Gesetz galt uneingeschränkt und trug seinen Teil dazu bei, dass Neha eine so beliebte Königin war. Aber diese Neha, dachte Mahiya, und ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter, war vielleicht nicht diejenige, die jetzt gerade herrschte … zumindest nicht, wenn es um Mahiya ging.
»Manche würden sagen, ich werde für das bestraft, was ich dir und deiner Mutter angetan habe.«
Sie drängte diese erschreckende Erkenntnis aus ihren Gedanken und schenkte Arav ein Lächeln, so scharf wie die Schneide eines Skalpells. »Neha schätzt Treue bei einem Mann über alles. Wenn sie jemals auf den Gedanken kommen sollte, du wolltest während eurer Verbindung eine andere Frau anfassen, werden dir Eris’ Qualen und seine Ausweidung wie eine vergleichsweise milde Strafe vorkommen.«
Arav erbleichte sichtlich trotz seiner dunklen Haut und wich zwei Schritte vor ihr zurück. Mahiya war bereits fort, sie hatte den Schockmoment genutzt, um an ihm vorbeizuhuschen und den Weg zu den Ställen einzuschlagen – ihre geliebten Pferde zu besuchen würde ihr helfen, sich ein wenig zu beruhigen. Sie spürte Aravs Blicke im Nacken, bis sie um die Ecke verschwunden war. Dieser Mann, der bisher nur ein Spielzeug in ihr gesehen hatte, wollte sie ab jetzt vernichten, das wusste sie. Heute hatte sie sich einen Feind gemacht.
Drei Stunden nach der Entdeckung von Shabnams Leiche hatte Jason eine Reihe wichtiger Erkundigungen eingezogen und wollte nun eigentlich die Hofdamen befragen. Es stellte sich jedoch heraus, dass er zuerst mit Neha sprechen musste. »Venom erbittet die Erlaubnis, Ihr Territorium zu betreten.«
Nehas Mundwinkel hoben sich leicht, während sie an einem großen Wandgemälde vorbeiging, auf dem eine gertenschlanke Frau einen Wasserkrug auf dem Kopf trug. »Der verlorene Sohn kehrt also zurück.« Wärme mischte sich in die Trauer und den Zorn, die in ihrer Stimme lagen. »Ist er unterwegs zur Zufluchtsstätte?«
»Er sagt, er würde es nicht wagen, Ihnen nicht seine
Weitere Kostenlose Bücher