Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
wesentlicher Teil von ihm – vielleicht würden andere das nicht so sehen, weil er die Welt mit dieser kühlen Distanziertheit betrachtete, aber Mahiya verstand ihn … sie trug die gleiche Wildheit in sich. Nur weil sie eingesperrt, gefangen gehalten und kontrolliert wurde, hieß das nicht, dass sie nicht da war. Jason trug diese innere Wildheit auf seiner Haut, in den gewundenen Linien einer Tätowierung, die sie nachzeichnen wollte – mit den Fingerspitzen … und mit den Lippen.
Es war ein gefährliches Eingeständnis, aber es hatte keinen Zweck, sich selbst etwas vorzumachen. Besser, sie akzeptierte ihre Schwäche, was diesen unergründlichen Meisterspion anging, damit sie sich dagegen wappnen konnte. Das einzige Problem lag darin, dass Mahiya sich nicht sicher war, ob sie sich überhaupt von der schimmernden Dunkelheit dieser Flamme abwenden wollte, die zwischen ihnen glomm.
In einem kleinen, von Mauern umgebenen Terrassengarten hinter dem Palast der Hofdamen landete Jason direkt neben Lisbeth, die auf einer Marmorbank saß. Männern war der Zutritt zu diesem Bereich streng verboten, es sei denn, Neha persönlich schickte sie dahin. Sämtliche Wachen – Engel wie Vampire – waren weiblich.
Mit einem Keuchen sprang die zierliche Frau auf die Füße. »Sir, mir ist bewusst, dass Sie ein Gast meiner Herrin sind. Aber Sie dürfen nicht hier sein.«
»Neha wird deswegen nicht böse auf Sie sein.« Vielleicht auf Jason, aber da sie ihm nicht ausdrücklich verboten hatte, sich mit den Hofdamen in ihren Privatbereichen zu unterhalten, verstieß er gegen keine Regel. »Ich möchte mit Ihnen über Shabnam sprechen.«
Eine Veränderung auf ihrem Gesicht, ein flinker Gedankensprung. »Wir sind bestürzt.« Ihre Augen wurden feucht, das tiefe Braun verwandelte sich in einen schimmernden Topas von strahlender Schönheit. Mit einem zierlichen Spitzentaschentuch tupfte sie sich die kristallklaren Tränen ab.
»Es tut mir leid, wenn ich Ihnen zusätzlichen Kummer bereite.« Er schlug einen tröstenden Ton an.
Zwar konnte er Gefühle nicht annähernd so gut vortäuschen wie Lisbeth, dafür war er sehr bewandert darin, seine Stimme sehr gezielt einzusetzen. Früher hatte er sie auch zum Singen benutzt, aber die Lieder in seinem Herzen waren vor langer Zeit verstummt, und eines Tages würde auch seine Stimme verstummen. Ein Mann, der nichts mehr in sich barg, hatte letztendlich nichts mehr zu sagen.
Flügel in Mitternachtsblau und leuchtendem Grün und ein Lächeln, das zu viel sah, wühlten Dinge in ihm auf, an die seit einer Ewigkeit nichts mehr gerührt hatte.
In die unerwarteten Bilder, die durch seinen Kopf geisterten, mischte sich Lisbeths Stimme. »Schon in Ordnung.« Sie putzte sich geziert die Nase, was ihrer Schönheit keinen Abbruch tat. »Sie brauchen Hilfe, um Shabnams Mörder zu finden?«
Er neigte den Kopf. »Wissen Sie irgendetwas, das Licht in die Angelegenheit bringen könnte?«
Ein wohlkalkuliertes Zögern, bevor sie den Kopf schüttelte. »Nein, darüber könnte ich nie sprechen.«
»Sie ist tot.« Jason fügte seinem Tonfall eine sanfte, warme Note hinzu. »Was Sie auch sagen mögen, es kann ihr nicht mehr wehtun.«
Lisbeth schluckte und schlang die Arme um ihren Körper, als sei ihr kalt. »Es gehört sich nicht, schlecht über Tote zu sprechen, aber … Shabnam war ihrem Geliebten nicht treu.« Die Worte waren mit äußerster Aufrichtigkeit hervorgebracht worden, und doch erkannte Jason die Lüge in ihnen. Trotzdem ließ er die Frau fortfahren, weil er sehen wollte, wie weit sie in der Darstellung des Opfers gehen würde. »Sie war freigiebig mit ihrer Gunst … insbesondere wenn es um die Wachposten ging – ich glaube, sie wollte sich damit Zugang zu Orten verschaffen, an denen wir uns nicht aufhalten sollen.«
Eine geschickte Anschuldigung des Spionierens, vielleicht sogar des Verrats. »Glauben Sie, dass einer der Wächter eifersüchtig geworden sein könnte?«, fragte er, wobei er sich absichtlich begriffsstutzig gab.
Eine leise Andeutung von Ungeduld glitt über ihr Gesicht und durchbrach die bis dahin makellose Inszenierung der trauernden Schönen. »Ich bin sicher, dass Shabnam mit all ihrem gezierten Gehabe nichts weiter als eine Ablenkung für diese Männer war. Aber ihre Familie ist sehr stolz. Sie könnte ihr Handeln als schändlich empfunden haben.« Ihre geschwungenen, schwarzen Wimpern senkten sich sittsam. »Ich will niemanden beschuldigen und ich bin sicher, sie würden
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