Gillian Shields - Der Zauber der Steine
von meinem lieben Freund auf Fairfax Hall? Ich bete jeden Tag für ihn, wie ich es auch für dich tue.
Voller Hoffnung, dich bald wiederzusehen, bleibe ich deine auf ewig dankbare Freundin, Agnes Templeton Howard.«
Ich faltete den Brief zusammen und gab ihn Evie zurück. Dann sagte ich: »Es ist Josh, oder? Er ist derjenige, der vom Feuer berührt wurde. Der Funke der Heilung.«
»Glaubst du wirklich?« Evies Stimme war nur noch ein Flüstern, und sie sah mich nicht an. »Ich möchte so gerne geheilt werden. Ich fühle, dass ich nie wieder die Gleiche sein werde.«
»Was hast du vorhin über die Hoffnung gesagt? Man muss das Leben nehmen, wie es ist, in guten und in schlechten Zeiten.«
»Das ist leicht gesagt«, antwortete sie mit der Andeutung eines schwachen Lächelns, »aber nicht so leicht getan.«
Ich meinte ein Geräusch auf dem Gang gehört zu haben. Rasch wandte ich mich um und sah einen Schatten am Eingang. Da war jemand, der sich an der Tür herumdrückte.
»Wer ist da?«, rief ich. Ich hörte ein Husten, dann tauchte eine schmale Gestalt auf. Es war der Musiklehrer, Mr Brooke, ein nervöser, bleicher junger Mann mit zögerlichem Benehmen und einer chronischen Erkältung. Mr Brooke war einer der wenigen Männer, die in Wyldcliffe zugelassen waren. Ganz offensichtlich ging von ihm keine Gefahr aus, die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Schülerin in ihn verliebte, war gleich null.
»Haben Sie die Noten fertig sortiert, Miss Johnson?«, fragte er mit seiner hohen näselnden Stimme. »Ich hatte Ihnen einen Termin gesetzt. Bald läutet die Glocke zum Abendessen.«
»Entschuldigen Sie, Mr Brooke«, murmelte Evie, während sie rasch die Notenblätter zusammenraffte und dabei den Brief und die Fotos verdeckte. »Geh schon vor, Sarah, bei mir ist alles okay.« Sie drehte sich um und beugte sich wieder über ihre Arbeit. Mr Brooke musterte mich stirnrunzelnd, und ich hatte keine andere Wahl, als Evie mit ihren Noten alleine zu lassen.
Der Brief bestätigte nur, was ich schon wusste. Josh war dazu bestimmt, Evie aus dem Reich der Schatten wieder in die Wärme und ins Licht zurückzubringen.
Und ich? Wer würde kommen, um mich zu heilen?
Zwölf
A m nächsten Morgen nach dem Frühstück ging ich mit Helen und Evie zum Büro der Direktorin. Ich klopfte an die Tür.
»Herein.«
Miss Scratton hatte Besuch, Miss Dalrymple. Sie waren in ein intensives Gespräch vertieft. Miss Scrattons Lippen waren vor Anspannung zusammengepresst, und sie sah nicht einmal auf, als wir ins Zimmer traten. Miss Dalrymple beäugte uns prüfend, als würde sie abwägen, ob wir für eine geheime Mission geeignet wären. Zu wissen, dass diese dickliche Lehrerin mit dem falschen Lächeln in Wahrheit eine der Dunklen Schwestern war, machte mich wütend. Aber gegen sie konnten wir nichts ausrichten. Die Polizei würde uns auslachen, was wir auch immer vorbrachten. Die ehrbare Miss Dalrymple und Schwarze Magie? Sollten wir erzählen, dass Helen gesehen hatte, wie Celestes Cousine Laura van Pallandt vor einem Jahr von Mrs Hartle geopfert und getötet wurde? Nur wir wussten, dass Mrs Hartle in einem Opferritual Lauras Lebenskraft ausgesaugt und ihr die Seele entrissen hatte. In ihrer Gier war sie zu weit gegangen, und Laura war gestorben. Niemand würde uns glauben. Wir hatten keine Beweise. Es war ein Unfall, würden sie sagen, das arme Mädchen ist im See ertrunken. Ein schrecklicher, tragischer Unfall.
Nein, zur Polizei konnten wir nicht gehen. Wir mussten Miss Dalrymple und den Rest des Zirkels mit unseren Mitteln bekämpfen, nachts, im Reich der Schatten. Ich zwang mich zu einem Lächeln und dämpfte meine Wut mit dem innerlichen Versprechen, dass Rowena Dalrymple eines Tages für all die schrecklichen Dinge bezahlen würde, die sie und ihresgleichen getan hatten.
»Guten Morgen, meine Damen«, begrüßte sie uns mit einem aufgesetzten Lächeln, »ich hoffe, ihr habt die Aufgabe erledigt, die die Oberste Mistress euch gegeben hat. Ihr solltet ein Vorbild für die anderen Schülerinnen sein und nicht hinter sie zurückfallen. Ich bin sicher, dass ihr das genauso seht.« Sie lächelte noch einmal, als wolle sie uns in unseren Bemühungen bestärken, aber ihre Augen waren undurchdringlich und leblos wie zwei nasse Kieselsteine.
»Hier sind die Notizen, um die Sie gebeten hatten, Miss Scratton«, sagte ich und reichte sie ihr.
»Und das sind meine«, erklärten Evie und Helen nacheinander.
»Ich werde mich eingehend damit
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