Gillian Shields - Der Zauber der Steine
wenn ich dorthin wehen würde, wo der Geist meiner Mutter war, und mich ihr unterwarf, dann wäre sie vielleicht endlich zufrieden. Wenn sie mich vernichtet oder in ihren Bann gezogen hätte, oder was auch immer sie sonst wollte, dann würde sie Evie und dich vielleicht endlich in Ruhe lassen. In diesem Moment war es mir völlig egal, was mit mir passierte, solange ihr beide in Sicherheit wärt.«
»Oh, Helen, du darfst nicht denken, dass …«
»Ich sah keine andere Möglichkeit, euch zu retten. Jedenfalls stand ich dort am Fenster und dachte nach, als ich Schritte hörte. Es war Velvet. Sie hatte eine Reitgerte in der Hand. Sie blieb stehen und sah mich ganz seltsam an, so als ob sie meine Gedanken lesen könnte. Und dann … es ist schwer zu beschreiben. Wind kam auf, stark wie ein Orkan. Das Fenster wurde aus der Wand gerissen, fiel, und ich fiel mit. Ich hatte keine Zeit nachzudenken, aber ich war mir bewusst, dass ich unten auf den Treppenstufen aufschlagen und sterben würde. In der nächsten Sekunde schwebte ich. Ich schwebte friedlich und schwerelos, ich war von meiner Körperhülle gelöst. Ich war in einem großen weißen Raum, und ich tanzte wie in einem Traum. Aber ich war nicht allein. Da war jemand, der mit mir tanzte …«, ihre Stimme stockte.
»Und dann?«
»Da waren Menschen und Stimmen. Sie kämpften um mich. Ich wollte frei sein, aber sie ließen mich nicht los, so genau weiß ich das nicht mehr. Plötzlich tauchte Miss Scratton auf und sagte: ›Nein, nicht jetzt, es ist nicht deine Zeit. Du musst auf die Priesterin warten. Du musst die Priesterin werden.‹ Dann verschwand der weiße Raum, und alles wurde dunkel. Ich wollte wieder zurück, aber Miss Scratton ließ es nicht zu. Sie hielt mich fest, es tat richtig weh. Es schmerzte in meinem Kopf.« Helen sah mich aus traurigen Augen an. »Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder mit dem Wind tanzen kann.«
»Hast du es seitdem noch einmal versucht?«
Sie seufzte tief. »Ja, heute Morgen, als du nach Evie gesucht hast. Ich wollte zu dem Ort gelangen, an dem Evie festgehalten wird, wollte sie finden, selbst wenn ich dabei in Gefahr geraten würde. Aber es war wie das letzte Mal, es ging nicht. Jemand bewacht mich und hält mich zurück. Es tut mir sehr leid.«
»Glaubst du, dass es wieder Miss Scratton war?«
»Ich weiß es nicht. Es war … es ist schwer zu erklären, als würde jemand auf meinen Flügeln sitzen, wenn das für dich irgendeinen Sinn ergibt.«
Es ergab Sinn, aber einer Lösung waren wir damit immer noch nicht näher gekommen. Was sollten wir tun? Welche Rolle spielte Velvet? Ich sprang auf und begann ungeduldig auf und ab zu gehen.
»Aber selbst wenn Miss Scratton dich davon abhält, gibt es nicht andere Möglichkeiten?«, fragte ich. »Wie können wir die Priesterin und ihren Zirkel attackieren oder Velvet entwaffnen, bevor sie Evie etwas tun können?«
»Wir können unsere Kräfte nur zur Verteidigung und nicht zum Angriff nutzen. Nur zum Wohle aller.«
»Aber ich habe die Erde beben lassen, unten in der Krypta, während unserer ersten Auseinandersetzung mit dem Zirkel, ich habe eine Mauer zum Einsturz gebracht und Felsen gesprengt, oben auf dem Hügel …«
»Diese Kämpfe wurden uns aufgezwungen, Sarah. Die Initiative kann gar nicht von uns ausgehen.«
»Aber irgendetwas müssen wir tun! Die Priesterin hat bereits zugeschlagen. Sie hat sich Evie geholt. Wir müssen reagieren.«
»Und was willst du machen? Ein Erdbeben in Wyldcliffe? Miss Dalrymple bis zum Hals in einem Erdloch vergraben, damit sie uns verrät, wo Evie ist?« Es klang absurd, aber so weit weg von meinen Gedanken war es gar nicht. »Sei’s drum! Was sagt Cal eigentlich dazu? Er kennt die Situation, ihm kannst du vertrauen.«
Ich setzte mich wieder und fühlte mich gemein und dumm. »Ich weiß es nicht, du wirst ihn selbst fragen müssen.«
»Habt ihr euch gestritten? Oh Sarah, nein, bitte nicht!«
Ihre verzweifelte Reaktion überraschte mich, und ich versuchte, die Sache mit einem Schulterzucken abzutun. »Menschen streiten eben manchmal«, sagte ich, »davon geht die Welt nicht unter.«
»Aber unsere Welt könnte untergehen. Jeder, der mit dem Mystischen Weg in Kontakt kommt, muss seinen Beitrag leisten. Alles ist vorbestimmt, wir passen zusammen wie die Teile eines Puzzles. Alles ist miteinander verbunden. Wenn ein Teil verloren geht, sind wir alle verloren.« Helen versuchte, sich zu beruhigen und ihre Fassung wiederzuerlangen. »Wir brauchen
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