Gillian Shields - Der Zauber der Steine
denke, hier sind Kräfte am Werk, die manche Dinge verhindern und andere geschehen lassen können. Rätselhafte Dinge. Wollt ihr nicht mehr darüber wissen?« In ihre Augen war ein wölfischer Ausdruck getreten, und ich wusste, wo ich diesen Blick schon einmal gesehen hatte: Ich blickte in Harriets Gesicht, als sie von Celia Hartles dunklem Geist besessen gewesen war. Velvet strahlte die gleiche verzweifelte Gier aus, aber selbst jetzt wollte ich nicht glauben, dass es zu spät für sie war. Wenn es irgendeine Möglichkeit gab, Velvet zu helfen und sie davor zu bewahren, noch tiefer in die Finsternis hinabgezogen zu werden, dann war es das Risiko wert.
»Wir wissen einiges«, flüsterte ich und fügte noch leiser hinzu: »Helen war die Erste, die mit den in ihr schlummernden Kräften konfrontiert wurde.«
»Erzähl!« Velvet packte mich am Arm. »Was für eine Macht hast du?«
Ich blickte Helen hilfesuchend an. Ruhig sah sie Velvet an und sagte: »Wir sind nur Diener. Unsere Kräfte können nur zum Wohl aller genutzt werden.«
»Das klingt nicht gerade aufregend.«
»Darum geht es auch nicht«, schaltete ich mich wieder ein.
»Was macht ihr denn? Wo trefft ihr euch? Schleicht ihr euch deshalb nachts aus der Schule? Ich habe euch beobachtet und eine ganze Menge zu diesem Thema gelesen. Ihr braucht vier Elemente in eurem Kreis, oder? Das heißt, Evie und Helen und du … Und wer ist Nummer vier? Eine der Lehrerinnen?«
Ich spürte Unbehagen in mir aufsteigen. Velvets Vermutungen kamen der Wahrheit verdammt nahe. Wie lange hatte sie uns wohl nachspioniert, um das alles herauszufinden?
»Unsere geheime Schwester ist Lady Agnes«, sagte Helen.
»Das tote Mädchen auf dem alten Gemälde? Ohne Witz? Ihr wollt mich doch nicht verarschen?«
Helen zuckte die Schultern. »Ich lüge nie. Die Wahrheit ist viel mächtiger als jede Lüge.«
Ob es eine gute Idee war, Velvet von Agnes zu erzählen? Ich war mir nicht sicher. Für mich war Velvet eine machthungrige, sensationsgierige Egomanin, die bestimmt nicht an Heilung oder Weisheit interessiert war. Ich konnte ihr nicht trauen, zumindest noch nicht. »Hör mal, Velvet, vergiss, was wir gesagt haben. Versuch bitte, dich aus allem rauszuhalten, wir werden uns schon darum kümmern. Vielleicht können wir uns später noch einmal unterhalten.« Ich versuchte mich loszureißen, aber sie hielt meinen Arm fest umklammert.
»Du kannst nicht einfach gehen! Du musst mir alles erzählen. Ich will auch dazugehören. Ich will Macht haben und manche Dinge verhindern und andere geschehen lassen.« Ihr Gesicht verdüsterte sich. »Ich will Rache. Ihr könnt mir dabei helfen.«
»Lass mich los!«
»Aber ihr braucht mich! Ich weiß, dass ihr in irgendetwas verwickelt seid, und ich will dabei sein. Das Leben hier ist langweilig und öde, aber diese Geschichte ist immerhin spannend. Lass mich dabei sein, Sarah. Evie ist weg, und sie wird nicht wiederkommen. Ich könnte ihren Platz einnehmen.«
Schockiert starrte ich Velvet an. »Was weißt du über Evie? Und was meinst du damit, sie kommt nicht zurück?«
»Die Geschichte, sie wäre plötzlich zu ihrem Vater gefahren, stinkt doch zum Himmel. Interessiert euch, wo ich wirklich hingeritten bin? Ich denke, ihr wollt sicher wissen, was tatsächlich geschehen ist.«
»Los, erzähl’s uns! Aber beeil dich.«
Velvet ließ meinen Arm los und legte sich aufs Bett. Sie war jetzt wieder ganz die alte und ließ uns zappeln. »Heute Morgen habe ich geschwänzt und bin zu den Ställen gegangen. Josh war schon bei der Arbeit, deshalb habe ich im Küchengarten gewartet, bis er mal kurz weg war. Sonst war niemand da, und es war nicht schwer, Seraph zu satteln und unbemerkt über den Übungsplatz zum Tor zu führen. Ich dachte, wenn ich das Pferd der Obersten Mistress stehle, werfen sie mich sicher von der Schule, und außerdem hätte ich auch noch eine Menge Spaß dabei.
Der einzige Mensch, den ich traf, war der Gärtner. ›Wohin geht’s, Miss?‹, fragte er. Ich sagte, ich hätte Miss Scrattons Erlaubnis, ihr Pferd zu reiten, und er glaubte mir. Das Wetter war herrlich, und ich freute mich darauf, über die Moors zu galoppieren. Mit einer Sache hattest du übrigens Recht, Sarah. Jupiter hasst unebenen Boden. Mit ihm macht es keinen Spaß, hier auszureiten. Seraph ist ein wundervolles Pferd, und obwohl sie etwas zu hoch für mich ist, wusste ich, dass ich mit ihr klarkommen würde.«
»Wohin seid ihr geritten?«, hakte ich nach.
»Ich hatte
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