Gillian Shields - Der Zauber der Steine
Cal. Du brauchst Cal.«
Brauchen. Da war das Wort wieder.
»Ich kann auf mich selbst aufpassen. Ich brauche keinen Jungen, um mich anzulehnen. Ich brauche Cal nicht.«
»Hast du dir jemals eine Kletterrose angesehen, die ohne Gerüst eine Hauswand hochwächst? Hilfe zu akzeptieren ist kein Zeichen von Schwäche. Im Gegenteil. Es macht dich stärker.« Helen seufzte erneut. »Wenn ich jemanden hätte, irgendjemanden, dann würde ich keine Sekunde mit Streiten verschwenden.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber mir war klar, dass sie Recht hatte.
»Sarah, ich habe mein Leben in einer Art Traum gelebt«, fuhr Helen fort. »Selbst hier und jetzt, während ich mit dir spreche, sehe ich nicht so klar, wie ich die Bilder vor meinem inneren Auge sehe«, dabei rieb sie ihre Stirn, als ob sie Schmerzen hätte, »manchmal fürchte ich, verrückt zu werden und das alles nicht mehr auszuhalten. Ich weiß nicht, ob ich das alles zu Ende bringen kann. Aber ich muss daran glauben, dass es möglich ist und dass ich finden werde, wonach ich suche. Evie und Sebastian, ihr gemeinsamer Weg war von Anfang an vorgezeichnet. Cal ist real. Seine Gefühle für dich sind echt. Und wenn ich so etwas Wertvolles besitzen würde, dann würde ich es festhalten. Wie einen kostbaren Stein. Ein Stein in meiner Tasche, der mich immer wieder daran erinnert, was real und echt und ewig ist.«
»Oh Helen, ich fühle mich so …«
Ich beendete den Satz nicht. Eine Horde kichernder Mädchen drängte in den Raum.
»Mein Gott, wie die aussah! Die ist ja völlig außer sich!«
»Nicht mehr so sexy wie sonst, was? Ich nehme an, ihr Foto ist morgen in allen Zeitungen.«
»Was hat sie mit ihren Reitkünsten angegeben! Und dann so was!«
Ich ging zu ihnen. »Was ist passiert? Was ist so witzig?«
»Oh, hi, Sarah«, sagte Marion Chase, eine Freundin von Celeste, »es geht um Velvet Romaine. Sie hat sich komplett lächerlich gemacht, und einer dieser im Dorf rumhängenden Fotografen hat sogar Bilder davon gemacht.«
»Was hat sie gemacht?«, fragte Helen.
»Eigentlich nichts«, kicherte Marion, »sie hat Miss Scrattons Pferd gestohlen und ist mit ihm ins Moor geritten. Aber dann wollte sie wohl eine Abkürzung nehmen und ist im Sumpf stecken geblieben. Halb tot und völlig verdreckt musste sie zu Fuß zur Schule zurück, zusammen mit einem hinkenden Pferd.«
»Und Velvet bildete sich ein, sie würde so cool aussehen!«, Marions Freundinnen wieherten vor Lachen, »jetzt wird sie hochkant rausgeschmissen, garantiert. Sie hat nie richtig hierher gepasst, oder?« Ihre schadenfrohen Gesichter machten mich krank. Als Velvet in Wyldcliffe auftauchte, hatten sich alle bei ihr eingeschleimt, und jetzt waren sie voller Schadenfreude über ihren tiefen Fall. Und das wollten junge Ladys sein! Wo waren ihre Ideale wie Selbstlosigkeit, Ehre und Loyalität geblieben?
»Sie ist immer noch eine Wyldcliffe-Schülerin«, fuhr ich sie mit schneidender Stimme an, »deshalb sollten wir ihr helfen und uns nicht über sie lustig machen, nur weil sie einen Fehler gemacht hat. Komm, Helen.«
Sie starrten uns mit offenen Mündern an, und ich wusste, sie würden ihr Gift verspritzen, sobald wir außer Sichtweite waren. Aber das war mir egal.
»Ich muss Velvet finden«, sagte ich, als wir den Flur hinuntergingen. Obwohl ich von Hilfe und Vergebung gesprochen hatte, war ich wütend. Ich wusste von meinem Vater, dass bei einem Pferd selbst die kleinste Verletzung an den Beinen bedeuten konnte, dass es nie wieder richtig laufen konnte. Und in dem Fall wurde es meist erschossen, um ihm ein Leben voller Schmerzen zu ersparen. »Ihr geht’s bestimmt bald wieder gut, aber wenn sie Seraph etwas angetan hat …«, ich musste die Tränen zurückhalten, als ich daran dachte, wie Miss Scratton ihrem Schimmel den Befehl gab, Mrs Hartles leblosen Körper nach dem Kampf auf dem Hügel abzutransportieren. Damals wären wir für Miss Scratton durchs Feuer gegangen, sie war unsere Freundin und unser Fels in der Brandung. Und das alles sollte nichts als Lüge gewesen sein? In diesem Chaos der Gefühle war Seraph für mich der Inbegriff für Freiheit, Unschuld und Güte geworden, bevor die Welt sich verdüstert hatte. Wir durchquerten die Eingangshalle, vorbei an aufgeregten Schülerinnen, die auf das Läuten warteten. Ich schnappte Gesprächsfetzen auf. »… wie egoistisch, das arme Pferd … wirklich dumm … ich hoffe, sie schmeißen sie raus …« Es hörte sich an, als ob es in der
Weitere Kostenlose Bücher