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Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Titel: Gillian Shields - Der Zauber der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Band 3
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misstrauisch und reserviert gewesen, doch meine schüchternen Versuche, in der Roma-Sprache zu sprechen, hatten das Eis zum Schmelzen gebracht. Er hatte gelächelt und mich »Romamädchen« genannt, und ich hatte gespürt, dass ich dorthin gehörte. Wie gerne würde ich ihn wiedersehen! Ich sehnte mich nach seinen im Wind wehenden, ungebändigten Haaren und nach seinen wachsamen Augen, die so viel älter wirkten als er selbst. Ich sehnte mich nach seinem seltenen Lächeln, ein Lächeln, das nur mir galt. Ich wusste jetzt, dass ich ihn vom ersten Moment an gemocht hatte. Aber ich hatte es versaut. Wenn nur … aber es war besser, nicht daran zu denken, was hätte sein können. Ich würde keine zweite Chance bekommen.
    Auf einem kargen Stück Land machten wir Rast, dort, wo damals das Romalager gewesen war. Jetzt wäre der Moment umzukehren und rechtzeitig zum Abendgebet in der Schule zurück zu sein. Stattdessen ritten wir weiter und folgten dem gewundenen Pfad, der stetig nach oben führte, hinein in die Moors . Es wurde langsam kalt. Hier oben kam der Frühling erst spät, aber die Landschaft war trotzdem wunderschön. Mir war bis zu diesem Moment nicht bewusst gewesen, wie sehr dieses Fleckchen Erde ein Teil von mir war – die Weite der Heidemoore, die zerklüfteten Felsen, die Schreie der Raubvögel, wenn sie sich auf ihre Beute stürzten. Das war meine Welt, dieser Ort war in meinem Herzen. Schließlich kamen die schwarzen Steine oben auf dem Ridge in Sicht. Als wir dort ankamen, stiegen wir ab.
    »Bereit?«, fragte Helen.
    Ich nickte. »Bereit.«
    Wir standen inmitten des Steinkreises und blickten in das verblassende Licht der untergehenden Sonne. Pinkfarbene und goldene Wolken segelten am fernen Horizont. Die Vögel schwiegen. Nur unser Atem und das Seufzen des Windes waren zu hören. Ich hielt den Talisman in die Sonne, und er begann im Schein der letzten Strahlen zu glühen.
    »Maria«, sprach ich, »du bist mir schon einmal in diesem heiligen Kreis erschienen. Jetzt rufe ich dich wieder an! Zeige mir, wo ich die Orte tief unter der Erde finden kann. Sag mir, wie ich unsere Schwester Evie finden kann. Heilige Mächte, enthüllt uns die Wahrheit.«
    Schlagartig verschwand die Sonne. Es wurde Nacht, Mitternacht, und über uns leuchteten die Sterne. Auf der anderen Seite des Steinkreises, in der Nähe des höchsten Menhirs, sahen wir ein junges Mädchen und eine schwarz gekleidete Frau. Ihre Gesichter waren mit Schleiern verhüllt, aber sie winkten und riefen nach uns. Das Mädchen deutete auf den Boden. So schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden die beiden Gestalten wieder, auch die Sterne erloschen. Das glühend rote Licht des Abends kehrte zurück, als ob man eine Lampe angeknipst hätte.
    »Dort drüben muss etwas sein«, drängte ich ungeduldig, »komm!« Wir liefen auf die andere Seite des Steinkreises, um den Boden abzusuchen, aber wir konnten nichts Ungewöhnliches finden. Ich fiel auf die Knie und presste meine Hände auf den torfigen Boden, damit die Erde zu mir sprechen konnte. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich und bat um Beistand. Ich hörte ein Mädchen lachen. Sie saß auf einem kräftigen Pony. » Komm schon, Cracker! Zak, du kriegst mich nicht!« Dann sah ich sie stürzen und gegen den Stein prallen, die Krone auf ihrem Kopf und das Blut auf ihrer Wange. Maria rief nach mir.
    »Graben!«, keuchte ich. »Wir müssen graben.« Ich bohrte meine bloßen Hände in den weichen Boden und begann zu wühlen. »Mutter Erde, enthülle uns deine Geheimnisse«, flehte ich. »Enthülle deine Schätze.« Die Erde zerkrümelte unter meinen Fingern, bis ich sie ganz leicht zur Seite schieben konnte wie feinen Sand. Schnell hatte ich am Fuße des Steins eine flache Höhle entdeckt. Ich griff hinein und fand eine Handvoll angelaufener Münzen. Daneben lag ein kleines Wachstuchbündel. Meine Hände zitterten, als ich es öffnete. Das Bündel enthielt einige eng beschriebene, eingerissene Blätter, ich erkannte die flüssige, gut leserliche Handschrift. »Sie sind von ihr! Sie sind von Maria!«
    Ich strich die zerknitterten Blätter auf meinem Knie glatt. Wyldcliffe-Tagebuch von Maria Melville war der Titel.
    Helen blickte mir über die Schulter, als ich zu lesen begann, und der Tag neigte sich.
    Wenn du dies eines Tages lesen wirst, egal wer du bist, dann musst du die Kraft haben, die hier beschriebenen Rätsel anzunehmen. Ich wünsche dir, dass du nicht in die unterirdische Welt hinuntergehen musst.

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