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Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Titel: Gillian Shields - Der Zauber der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Band 3
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schlachteten die Männer ab, die von dem Überfall völlig überrascht waren. Sie griffen sich die Frauen und Kinder und warfen sie auf den Rücken ihrer Pferde. Jammern und Wehklagen erfüllten die Luft.
    Das letzte Bild zeigte eine Gruppe von Männern, die von dem feindlichen Stamm überwältigt worden waren. Sie waren aneinandergefesselt und trugen Ketten um ihre Handgelenke und Hälse. Die Körper der Toten waren am Rande des Moors aufgehäuft worden. Die siegestrunkenen Angreifer warfen die Leichen in den schwarzen Sumpf, wo sie langsam versanken. Auch die Gefangenen wurden in den Sumpf getrieben, wo sie durch das Gewicht der Eisenketten unaufhaltsam nach unten gezogen wurden und qualvoll erstickten. Von der Erde verschluckt.
    »Nein«, schrie ich, als ich aus der Vision erwachte, »das ist zu grausam, ich will nichts mehr davon sehen.«
    »Es ist die Wahrheit. All diese Dinge sind geschehen. Die Männer, die unsere Körper getötet und unsere Frauen geraubt haben, haben uns mit einem Fluch belegt. Unsere Seelen dürfen nicht sterben und ins Land der Ahnen gehen. Deshalb schliefen wir als Sumpfmenschen in der Erde, gefangen zwischen dieser Welt und der nächsten. Alle hundert Winter erwachen wir für kurze Zeit und schleichen durch die Höhlen des unterirdischen Königreichs. Wir sind voller Schmerz und Scham. Wir suchen nach der neuen Königin, aber wir finden sie nicht. Jetzt hat uns die Geistfrau mit Feuer und Zauberei an sich gebunden und zu ihren Sklaven gemacht.«
    »Sie will uns alle zu Sklaven machen«, sagte ich.
    »Sie ist ein böser Geist. Anders als unsere Königin. Nur die Königin kann Leben zu den Kinsfolk bringen.«
    »Wie soll das gehen?«, fragte ich, und mein Herz raste. »Was soll ich tun?«
    »Die Königin steigt hinab in den Tod. Sie findet dort den Baum des Lebens, der nie verdorrt. Dann kommt sie mit einem Geschenk des Baumes zurück. Das ist das Zeichen, dass die Kinsfolk in Sicherheit sein werden, viele Winter lang. Und die Königin wird es auch sein.«
    »Und wenn … wenn sie diesen Baum nicht findet?«
    »Dann ist sie nicht die richtige Königin«, antwortete Kundar frei heraus, »dann bleibt sie in den Tiefen des Todes.«
    Jetzt kannte ich die Wahrheit über die Kinsfolk, und diese Wahrheit würde mich entweder zum Sieg oder in den Tod führen. Kundar reckte seine Arme hoch, die Bronzekrone in den Händen. Ich sah sie an. Selbst in der dunklen Höhle schienen ihre Blätter zu leuchten. Mutter Erde, hilf mir, bat ich leise. Allmächtiger Schöpfer, beschütze mich.
    Ich sah in Kundars seltsam verformtes Gesicht, das trotz aller Hässlichkeit einen Hauch von Würde ausstrahlte. Seine schwarzen Augen glänzten im Licht der Fackeln. Die Trommeln setzten wieder ein. Sein Antlitz wurde zu einer grinsenden Maske. Aber seine Augen waren voller Liebe. Es waren die Augen eines freien, ungezähmten Jungen mit einem stolzen Herzen, ein Junge, der mich kannte, im Guten und im Bösen …
    »Ich bin bereit«, flüsterte ich, »ich bin bereit.«
    Kundar setzte die Krone auf meinen Kopf, und die Kinsfolkkrieger kamen auf mich zu, um mir ihre geschärften Steinmesser in die Brust zu stoßen. Schmerz durchzuckte mich, ein unbeschreiblicher Schmerz …
    Ich fiel.
    Ich fiel und fiel wie ein Blatt im Wind.
    Schließlich fand ich mich in einem tiefen Loch wieder, das in den Boden gegraben worden war. Ich lag auf dem Rücken und öffnete die Augen. In der Ferne leuchteten die Sterne. Dort sah ich Cal, dann das Antlitz meiner Mutter und schließlich einen weißen Schwan. Schmerz drückte mich nieder, aus meinen Wunden strömte das Blut. Mein Leben versickerte in der feuchten Erde. Jemand stand am Rand meines Grabes. Es war Kundar. Er warf eine Handvoll Erde auf mich und sagte bedauernd: »Hinab in den Tod.«
    Dann bemerkte ich Evie, die traurig auf mich herabsah. »Für deine lange Reise«, auch sie warf eine Handvoll Erde ins Grab. Helen erschien mit tränenüberströmtem Gesicht. »Für den Weg, der vor dir liegt«, sagte sie und warf einen verwelkten Blumenkranz in die Tiefe. Dann begann die Erde von den Seiten her einzusacken, und schon bald war die Grube mit Erde gefüllt, so schnell, wie sich ein leckes Boot mit Wasser füllt. Ich ertrank in der Erde, ich konnte nicht atmen, in meinem Mund war nur noch Staub, in meiner Lunge lauerte der Tod. Der Baum, konnte ich noch denken, ich habe den Baum nicht gefunden . Panik erfüllte mich, als mich die schwarze Erde erstickte, und alles Licht, alle Geräusche

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