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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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einem Fräulein Pape ein, einer ausgedörrten Person, der er die vielen lose hängenden Haare gar nicht zugetraut hätte. Das einzige, was sie sonst noch in Fülle besaß, war der Dialekt. Im übrigen sah sie hell wie der Neubau aus, den sie bewohnte; als ob beide im Schatten gebleicht worden wären. Zaghaft gedrehte Holzstäbe im Treppengeländer, der Zimmerschrank schüchtern in Weiß. Ein Fuß fehlte am Schrank. Gleich vor dem Neubau begann wieder die Heide. Wenn man vom Rand der Stadt aus ins Innere drang, blieb man immer an ihrem Rand. Gegen Abend kam Ginster auf der Flucht vor seinem Zimmer durch ein paar ihm unbekannte Viertel, in denen ihm mehrere grobe Sandsteinkästen auffielen, die vor nicht allzu langer Zeit errichtet sein mochten; sie glichen den Kerlendes Stadtbaurats. Daß man so aus der Welt geraten könne, hatte er nicht für möglich gehalten. In Verbindung mit ihr trat er eigentlich nur durch die Damenköpfe eines Coiffeurgeschäfts, die ihn an Hamburg erinnerten, obwohl er sie dort selbst vermutlich kaum wahrgenommen hätte, und durch den an einer Bankfiliale angeschlagenen Tagesbericht, der nichts Neues vom Kriegsschauplatz meldete. Am nächsten Morgen erwachte er mit dem Worte Panz. Er hatte Panzerrüstungen geträumt. Von einem feindlichen Rathausritter gefangengehalten, war er aus einer engen Gasse in den Krieg getreten und Zeuge einer Schlacht geworden, bei der sich die Heere zur Parade aufgestellt hatten. Da seine Versuche, den Ritter mit Geld zu bestechen, vergeblich gewesen, hatte er die Tante gebeten, den Plan des Ehrenfriedhofs von zu Hause mitzubringen. Vielleicht wurde der Panz durch den Würfel in gute Laune versetzt.
    Eine Arbeitersiedlung mußte Ginster entwerfen. Sein Büro, das finster wie die übrigen Amtsräume war, hatte sicher früher als Versteck für Waffen oder Schätze gedient. Es enthielt geheime Ecken, die Bodenplanken knisterten auffällig, und der Dom, der das ganze Fenster einnahm, versperrte überdies jede Aussicht. Immerhin beruhigte sich Ginster etwas bei dem Gedanken, daß sein Namenschildchen außen angebracht war. Solange der Kriegsschauplatz unverändert blieb, erschien ihm die Arbeitersiedlung zum mindesten als verfrüht. Stadtbaurat Schmidt hatte gemeint, daß sie aus einer Masse kleiner Einzelhäuser mit Gärtchen und gemütlichen Dächern bestehen solle. Durch die Brocken, die er herauspolterte, wären die Häuschen unfehlbar zerschmettert worden. Ginster, den er übrigens völlig selbständig arbeiten ließ,wunderte sich über die beabsichtigte Niedlichkeit um so mehr, als der Stadtbaurat ihm gegenüber die Arbeiter einmal als Gesindel bezeichnet hatte. Erst wurden sie erschossen und dann in die Gärtchen verpflanzt – er begriff den Zusammenhang nicht, es sei denn, daß Schmidt das Gedeihen der Arbeiter wünschte, damit sie im folgenden Krieg wieder frisch verwandt werden konnten. Widerstrebend zeichnete er luftige Räume, in denen das Gesindel sich später wahrscheinlich so glücklich fühlte, daß es sie von neuem mit dem Karabiner verteidigte. Freilich konnte man die Arbeiter auch nicht in Löchern unterbringen, aber richtig wäre gewesen, statt der bunten Glaskugeln Grabsteine im Garten aufzustellen. Um den Zusammenhang seiner Skizzen mit der Natur zu belauschen, besichtigte Ginster eines Nachmittags in Gesellschaft des städtischen Bauführers das künftige Siedlungsgelände. Der Bauführer stammte ursprünglich aus der Umgebung von F., was ihn sofort mit Ginster enger verknüpfte; Heimat und Korporalschaft stimmten insofern genau überein. Über Lehmgruben schleppte er ihn an einer alleinstehenden Schleuse vorbei, die kein Schiff enthielt. Landschaften, die von Bauführern bevorzugt wurden, waren gewöhnlich ohne Wege und aufgeweicht.
    »Der Schiffsverkehr ist gewiß im Kriege untersagt«, äußerte Ginster.
    Der Bauführer streckte die Hand aus: »Betrachten Sie jetzt die Silhutte der Stadt.«
    Ginster sagte dann auch Silhutte, weil der Bauführer so entzückt von ihr war. Außerdem befriedigte ihn die Unbekümmertheit, mit der sich der Mann im Palast des Fremdworts betrug. Zu einem solchen Auftreten fehlte ihm selbst der Mut. Obwohl das Bezirkskommando, bei dem er sich anzumelden hatte, nicht einmal in einem Palast, sondern in einem halbverfallenen Schloßteil einquartiert war, erstieg er ein wenig beklommen die Wendeltreppe, die angeblich zu den Militärzimmern führte. Sie ließ eine Reihe verriegelter Türen hinter sich, sodaß Ginster

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