Ginster (German Edition)
Riesenkübel und werde geschält. Nachsehen, wo Q. aufdem Schulatlas lag. Er mußte die Militärsachen beim Kammerunteroffizier abgeben. Als er lässig wie sein Straßenanzug über den Kasernenhof zurückging, kam ihm Vizefeldwebel Leuthold entgegen. Mittags zwölf Uhr, niemand sonst auf dem Hof. Aus der Ferne nahm sich Ginster vor, ihn nicht zu kennen; in der Nähe, oberflächlich zu grüßen. Der Vizefeldwebel hielt ihn an, und unwillkürlich fühlte Ginster nach seinen Knöpfen; obwohl sie beim Kammerunteroffizier waren.
»Nun sehen Sie endlich fast wie ein Mensch aus«, sagte der Vizefeldwebel.
»Jawohl.«
Später fiel Ginster der Straßenanzug ein. Wenigstens hatte er vor dem Vizefeldwebel nicht stramm gestanden, sondern eine ungezwungene Haltung eingenommen. Zur Entschädigung holte er gleich unterwegs den Militärpaß aus der Tasche, um sich seines D. a. v. H. zu versichern; auch wollte er sich ein neues Tabaksbeutelchen kaufen. Vor der Abreise gleich nach Neujahr sagte die Mutter zu ihm: »Ich weiß nicht, der Onkel gefällt mir nicht recht. Die Tante ist wie mit Blindheit geschlagen.« Die Mutter war bei Krankheiten im allgemeinen nicht ängstlich. Der Vater hatte zuviel über seine Leiden geklagt.
X
Die Reise nach Q. zerfiel in zwei gleich lange Teile von je vier Stunden Dauer. Halbiert wurde sie durch den großen Bahnhof von D., in dem Ginster abends eintraf; er mußte hier die Fahrt anderthalb Stunden unterbrechen. Der Aufenthalt war mit Soldaten vollgepfropft, von denen er fast erdrückt worden wäre, lauter Truppenkörper, die sich von Osten nach Westen wälzten oder umgekehrt, jedenfalls überschwemmten sie die Büfetts. Dabei wollte sich Ginster doch nur eine Erfrischung besorgen. Nach Beginn der Weiterfahrt hörte das Tosen so plötzlich auf, als sei ein Sack über die Soldaten gestülpt worden, in dem sie undeutlich fortsummten, der neue Zug war auch zum Unterschied vom vorigen ganz leer, freilich lief er jetzt in die Nacht hinein. Morgen früh sollte er Hamburg erreichen. Q. lag genau in der Mitte zwischen Hamburg und D.; außerdem in der Heide. Alles halbiert. Ausdrücklich hatte der Onkel die Heide gerühmt, aber wenn eine schöne Umgebung so anerkannt wurde, war gewöhnlich der Stadt nicht zu trauen. Im Abteil saß nur noch ein einzelner Mann mit einem gelben Überzieher und gestreiften Hosen. Trüb wie das Licht starrte er vor sich hin, auf der ersten Strecke waren die Leute wenigstens gesprächig gewesen. Die Hosenstreifen schienen an verjährten Abendgesellschaften teilgenommen zu haben.
»Steigen Sie auch in Q. aus«, fragte Ginster, den das Schweigen beunruhigte, »ich fahre nämlich nach Q.«
Der Mann reiste nach Hamburg. Ginster kam sich benachteiligt vor, weil er an einer nächtlichen Zwischenstation zurückbleiben sollte, bisher hatte er immer in Hauptstationen gewohnt, die sich bei hellem Tageslicht zeigten. Eigentlich paßte der gelbe Überzieher eher zur Heide. Wenn der Dialekt noch ein wenig unverständlicher geklungen hätte, wäre er schon feindlich gewesen; so zarte Übergänge zwischen den Völkern. »Q. ist aber doch eine richtige Stadt«, fing Ginster wieder an und hob eine Zeitschrift auf, die neben dem Mann zu Boden gefallen war. Durch sein Benehmen hoffte er ihn zu günstigen Auskünften zu bewegen. Der Mann ließ sich nicht umstimmen. Sei stets durch Q. durchgefahren, unter hunderttausend Einwohnern, nur ein Städtchen. Schweigen; es rußte.
»Meinen Sie, daß man in Q. überhaupt leben kann …«
Der Mann schlief, seine Streifen sausten allein weiter nach Hamburg. Um halb drei viel zu pünktlich in Q.; niemand sonst ausgestiegen. Auf dem Bahnsteig bezwang Ginster gewaltsam das Verlangen, dem abfahrenden Zug nachzusehen. Zu seinem Erstaunen war die Bahnhofswirtschaft dicht besetzt; eine Menge von Frauen mit Körben und Ballen. Während er sich aus Angst vor der Stadt bei einer Tasse Kaffee verzögerte, umrauschte ihn ununterbrochen der Dialekt. Wahrscheinlich wurden in der Nacht heimlich Lebensmittel gehamstert, der Dialekt klang so nach Land. Übrigens war ja tatsächlich die Nahrung an keine bestimmte Mundart gebunden. Vor dem Bahnhof stand Ginster in einer Dunkelheit, die sich völlig leer anfühlte. Mit dem Köfferchen in der Hand suchte er den Boden ab und entdeckte schließlich ein Paar Trambahnschienen, die aber einen schmaleren Abstand hatten als die zu F., auch fehlte das zweite Gleis. Aus dem gleichzeitigen Vorhandensein von Trambahn und Bahnhof folgte
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