Ginster (German Edition)
schließlich annahm, die Treppe schraube ihn einem abgelegenen Gemach entgegen, in dem ein Dornröschen zu wecken sei. Als er sich oben zeigte, war das Dornröschen völlig munter. Eigentlich verdoppelte er durch die Meldung nur seinen Militärakt, der bereits vor ihm eingetroffen war. Wie er nach und nach merkte, kannte der Bauführer das Bezirkskommando nicht allein im Umriß, hatte es vielmehr gründlich von innen studiert. Jedenfalls erfuhr er stets rechtzeitig, wann neue Gestellungsbefehle zu erwarten waren. Überhaupt schienen die städtischen Beamten vom Bezirkskommando über alle wichtigen Ereignisse telefonisch unterrichtet zu werden, ein persönlicher Zusammenhalt, den Ginster unter den herrschenden Umständen für wünschenswerter hielt als den zwischen Kollegen. Besonders schwer fiel ihm die Aufgabe, ein Kollege zu sein, im Verkehr mit dem Wasserbauingenieur Wenzel, der sich ihm gleich in den ersten Tagen vorgestellt hatte. Wenzel besaß einen Bauch in mittleren Jahren und beaufsichtigte die städtische Kanalisation. Das Wasser lief offenbar von selbst ab, denn er fand sich immer wieder in Ginsters Büro zu stundenlangen Besuchen ein. Er langweilte sich unter der Erde und war über ihr unzufrieden. Da er nicht wußte, was er mit sich anfangen solle, fing er es lieber mit Ginster an. Meistens breitete er sich wie eine Pfütze aus, die nicht versickern wollte. Das ganze Stadtbauamt spiegelte sich in ihr.
»Aber das Poltern des Stadtbaurats klingt doch eher gutmütig«, sagte Ginster einmal, als die Bilder gar zu trübwiderschienen. Wenzel schwieg in einer geheimen Büroecke.
»Dunkler Stunk«, gähnte er leise. Oft waren die Kanäle verstopft, durch die seine Worte flossen. So matt. Wenn Ahrend bei sich angestellt gewesen wäre, hätte ihm Wenzel geglichen. Die Leitungen, was. Ginster fürchtete, fortgespült zu werden.
»Ich selbst habe noch gar nichts gemerkt«, erklärte er, »nur begreife ich nicht, warum ich überhaupt reklamiert worden bin. Die Siedlung hätte Zeit bis zum Frieden.«
»Ihr Vorgänger ist schuld«, sagte Wenzel. Ohne die Stimme zu heben, träg in der Ecke. Stille; der Haupthahn war wieder abgestellt. Mit aller Gewalt versuchte Ginster, ihn aufzudrehen, und schließlich tröpfelte auch etwas heraus. Der Vorgänger war von Stadtbaurat Schmidt einfach nicht weiter reklamiert worden, weil er gefordert hatte, als Verfasser einiger in der Tat selbständig von ihm durchgeführter Bauwerke genannt zu werden. Nun konnte er draußen im Krieg unter seinem eigenen Namen die Schützengräben entwerfen.
»Ach so … Wie sehen die Bauten aus?«
»Sandsteingebäude. Recht schmuck.«
Die Kerle. Ginster fühlte sich gern als Mitwisser und verlangte, mehr zu hören. Ein Sonnenstrahl fiel in die Pfütze. Der Stadtbaurat habe als Bauschreiber begonnen, ein ganz gemeiner Schmidt, der dann später durch eine reiche Partie und Schiebungen in die Höhe gekommen sei. Er besitze nicht das geringste Wissen und entrate jedes Examens; um von der Bildung zu schweigen. »Wenn er mit Fachleuten unterhandeln muß, zittern ihm immer die Knie.« Sich ohne Kenntnisse so lange an der Spitze zu halten, schien Ginster das Zeichen einer außerordentlichen Begabung. Den meisten Vorgesetzten mangelten solche Talente, und auch die Heerführer verlängerten wahrscheinlich nur darum sich und den Krieg, weil sie etwas von den Schlachten verstanden.
»Schöne Geschichten«, sagte Wenzel. Es tropfte noch von ihm ab. Nach Ginsters Meinung war er nicht zu bedauern; überall, wo er ging, trat er auf die eigenen Kanäle.
»Haben Sie denn hier wirklich besonders viel auszustehen?«
Bei seinen von F. aus unternommenen Sonntagsausflügen in das nahe Mittelgebirge hatte Ginster als Schüler häufig ein steiles Fußpfädchen benutzt, das von einer Rohrleitung begleitet wurde, die eine Fabrik im Tal mit einem hochgelegenen Wasserwerk verband. Er hatte in der Regel sein Ohr an die dicken gußeisernen Rohre gepreßt und das Rauschen im Innern verfolgt. Die Fabrik war übrigens veraltet und inzwischen wohl außer Betrieb gesetzt. Auf seine Frage hin begann jetzt Wenzel zu rauschen wie damals das Rohr im Gebirge, die Abwässer strömten nur so. Ginster entnahm ihnen, daß Wenzel sich die Jahre hindurch von dem Baurat unterdrückt glaubte. Mit Schmidt wirkte Stadtsekretär Hermann zusammen, der noch gefährlicher war, da sich ihm nichts nachweisen ließ. Beide zusammen hatten Wenzel in die Leitung gezwängt.
»Ich wäre an Ihrer Stelle
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