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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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erschienen …«, erklärte ein Mann den Umstehenden. »Ein schöner Spaß: während sie an der Bahn warteten, kam er über Land an. Die Maschinengewehrabteilung ist zu ihm übergegangen, ihre Offiziere haben sich widerstandslos entwaffnen lassen. Auch die Soldaten der Garnison sind geschlossen auf seiner Seite.«
    Ein einzelner Matrose – aber vermutlich mußten die Matrosen für viele Städte reichen, und auf Q. entfiel eben nur einer. Wie viele benötigte man in F. Während Ginster mit der Masse weitergequetscht wurde, aß er verstohlen sein halbes Frühstücksbrötchen, das er in der Eile ausnahmsweise zu sich gesteckt hatte. Am Eingang vom Rathausplatz bemerkte er durch einen zufällig entstandenen Hohlraum einen halben Burschen in Blau. Der Revolver am Gurt, die Kappe schief im Gesicht. »Ist das der Matrose?« erkundigte er sich zum Überfluß. Die Erscheinung war schon wieder verschwunden. Sehr verwegen, wie für die reifere Jugend, jene Seefahrergeschichten dienten also wirklich als Vorbild. Oben in seinem Büro traf Ginster außer der Domrose noch Wenzel an, der in dem Manuskript der Denkschrift blätterte, das erst bis zur Hälfte gediehen war. Lauter Nebenarbeiten dazwischen.
    »Auch eine Sache«, meinte er; wie Mehlbrei.
    Ginster öffnete das Fenster, durch das Bruchstücke einer Volksrede flogen.
    »– Bürger –« Der Bauführer kam ins Zimmer. »– fort mit den Schuldigen … Ins Verderben gestürzt –« Die Domrose schwamm weg, wohin hatte sich Wenzel verzogen?»– jeder einzelne Volksgenosse … wir wollen den Frieden –« Wie verlassen war das Büro. »– Freiheit –« Der Fußboden knirschte. »– Es lebe die Republik.« Sie schrien.
    Die Republik gründen, sämtliche Herrscherhäuser abschaffen, frei sein – Ginster erstarrte. Auch bei Kriegsanfang hatten sie seinerzeit in den Kasten gegriffen und die ungeheuren Geschichtsausdrücke hervorgeholt. Pfiffig spitzte der Bauführer den Mund. »Das ist die Revolution.«
    Bald waren sämtliche Ausdrücke durchprobiert. Ohne etwas geahnt zu haben, befand sich Ginster mitten in einer echten Revolution. Vor Jahren hatte er bei der Ankunft in Genua nicht glauben wollen, daß er in Genua war. An sich zu denken, wäre jetzt kleinlich gewesen.
    »Nun muß ich auch übermorgen nicht aufs Bezirkskommando. Oder …« Nur gerade gefragt.
    Der Bauführer leugnete das Bezirkskommando so entschieden ab, als sei die ganze Stadtsilhutte zersprungen. Das Tosen verhallte.
    »Herrlich«, sagte Ginster unvermittelt, »endlich einmal eine richtige Unordnung … Man sollte alles zerschlagen.« Er setzte sich auf die Fensterbank; ein wenig prahlerisch.
    »Dunkler Stunk.«
    Wenzel, an den niemand gedacht hatte, erhob sich aus seiner Geheimecke und gähnte. Alle Rohre geplatzt. Eigentlich wollte Ginster im Büro bleiben, weil noch Arbeitszeit war, aber der Bauführer drängte ihn auf die Straße. Ein kleiner Empörer mit einer Beamtenmiene, die Revolution bedeutete für ihn einen gesetzlichen Feiertag. Im Trubel vernahm Ginster, daß bei der Kaserne einem Offizier die Achselstücke abgerissen worden seien. Verschiedene Male der Hergang ausführlich geschildert. Eine Begeisterung, die Stadt war so stolz auf sich. Leider fanden sich keine weiteren Offiziere mehr. Vor der Tür des Buchladens stand Elfriede neben einem barhäuptigen jüngeren Herrn, der schützend den Arm um sie legte. Es schien der Buchhändler selbst zu sein, der sich niemals im Laden gezeigt hatte. Elfriede sah der Revolution zu und winkte freudig, als sie Ginster erkannte. Sie waren Bruder und Schwester jetzt. Man merkte ihr an, daß sie in einer historischen Zeit lebte, jedenfalls behalf sie sich ohne das Gräsertuch. Die Schnecken freilich rollten sich eigensinniger als je. Ginster hätte sie abwickeln mögen, bis die Spiralen zu Zügeln wurden, und dann Elfriede unter Juhu vor sich hertreiben. Während der folgenden Tage befiel ihn die Angst, daß sich die Stadt durch das bißchen Revolution überanstrengt haben könnte, eine solche Mattigkeit hatte sich ihrer bemächtigt; trotz der Flucht des Kaisers und der Unterzeichnung der Waffenstillstandsbedingungen.Die Achselstücke waren zu viel gewesen. Als ob es dessen bedurft hätte, wurde auch noch ausdrücklich zur Ruhe gemahnt. Völlig unverständlich: kaum hatten sie mit der Revolution begonnen, und schon wollten sie wieder die Ruhe herstellen. Wie Ginster einfiel, brauchte er sich wenigstens nicht mehr reklamieren zu lassen. Er konnte von Q. fort,

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