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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Café dabei saß, quälte er den Chemiker, seine Witze zu erzählen, deren es zahllose gab, die alle das eine Thema behandelten, in dessen Mitte sie drangen. Er freute sich an ihrer Gemeinheit, die so groß war wie Müllers Zigarren, von denen er nie eine anbot. Längst hatte sich Ginster das Pfeifenrauchen angewöhnt. Die Witze wurden von Müller im Laboratorium gebraut. Sie rissen Ginster zu so lauten Äußerungen hin, daß er von Hay verwarnt werden mußte, der nur grinste und sich das nähere Eingehen auf die Witze für zu Hause aufhob. Was den Krieg betraf, so vermochte er keine günstigen Aussichten zu eröffnen, es sei denn, daß gewisse Umstände eintraten, die er aber nicht verriet, da sie ihm entwendet werden konnten. Wenn die Musik aufhörte, begleitete er Ginster fast immer nach Hause.
    »Ich muß meinen kleinen Spaziergang regelmäßig machen«, stellte er fest. Seine Arbeit werde Dinge enthalten, die niemand erwarte. Müller sei ein Ferkel. Schweigen.
    »Ja, was ich noch sagen wollte«, fuhr er plötzlich auf, »… deine Krawatte …«
    Eines Tages in den zwei Jahren wurde Ginster auf offener Straße von einem Offizier angesprochen. Der Offizier sah wie ein Offizier aus, im wehenden Mantel, mit einer Dekoration auf der Brust. Gerade hatte Ginster vor sich hin gepfiffen, wie er es noch von den Knabenjahren her manchmal tat. Mitten auf der Straße, ohne etwas zu denken. Die Dekoration funkelte. »Wie geht es dir immer«, hatte der Offizier gefragt, ihn mit du angeredet, trotz seines Mantels. Ginster blickte an sich herunter: der Überzieher halb offen, die Schuhe wieder beschmutzt. Das Ereignis klärte sich dahin auf, daß der Offizier, der Ehlers hieß, sich Ginsters aus der Zeit erinnern wollte, als er noch in die Schule gegangen war und bei dem Onkel Unterricht genossen hatte. Immer wurde Ginster von allen Leuten gekannt, wie zwischen Glaswänden; während ihm selbst die Gesichter entfielen. Er hatte sich darum in dem geschickten Aufbau allgemeiner Wendungen geübt, der die vergessenen Personen zu dem Glauben bringen mußte, sie seien bei ihm zeitlebens in Kost und Logis. Beunruhigung schufen ihm die Grüße, die der Offizier unausgesetzt empfing. Galten ihm selbst auch, wie Ginster genau wußte, die Ehrenbezeugungen nicht, so betrafen sie ihn doch insofern mit, als er dem Offizier zur Seite ging. Anfänglich zog er, ein wenig beglückt, vor jedem Soldaten den Hut, da aber der Offizier in der Regel nicht dankte, unterließ er gleichfalls den Gruß, so schwer es ihm fiel, und half sich damit, daß er starr geradeaus blickte. Er kam sich wie der ungebetene Besucher eines Privatfestes vor, den der Hausherr früherer Beziehungen wegen zu bleiben bittet; die Schar der Gäste nimmt indessen nur gezwungen von ihm Notiz. Es hätte eine Grußart erfunden werden sollen, die jene Einheit auflöste, zu der er mit dem Offizier verschmolz. Sie waren vor einem der städtischen Hauptcafés angelangt, einige saßen noch im Freien unter den Arkaden.
    »Wir wollen hineingehen«, bestimmte der Offizier, »das Grüßen ist lästig.«
    Ginster sah ein, daß es unbequem sein mußte, die vielen Grüße nicht zu erwidern, hätte sich aber doch in dem Mantel neben ihm öffentlich zeigen mögen, vielleicht kam Hay gerade vorbei, der aus Neugier mitunter die Stadt durchmaß. Der Offizier erkundigte sich nach dem Onkel.
    »Dein Onkel«, sagte er, »war fabelhaft. Er kam mit einem Haufen von Aktenstößen in die Klasse und überließ die Schüler oft ganze Stunden sich selbst, um Auszüge aus den Akten zu machen. ›Beschäftigt euch einmal allein‹, sagte er in solchen Fällen zur Klasse. Wir waren dann mäuschenstill. Ein paarmal durfte ich ihm nach der Schule die Akten in die Wohnung tragen, was als besondere Auszeichnung galt. Im Geschichtsunterricht scheute er sich nicht, die Bedeutungslosigkeit vieler gefeierter Herrscher offen einzugestehen …«
    »Ja, ich weiß«, warf Ginster ein, »aber …« Er fürchtete, daß Ehlers später sein Militärverhältnis werde prüfen wollen. Um Fragen vorzubeugen, erklärte er die Valentinschen Bauten, alles fürs Heer.
    »Leder ist wichtig«, bestätigte zerstreut der Offizier und kehrte wieder in die Schule zurück. Ginster bestand für ihn nur als Neffe.
    »Die Art, in der dein Onkel uns behandelte, war, streng genommen, ungerecht. Er hatte Lieblingsschüler, die er bevorzugte; andere mochten anstellen, was sie wollten,sie drangen nicht durch. Eigentlich bekümmerte er sich überhaupt

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