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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Aneinanderreihen einzelner Ziegelsteine zu solcher Völligkeit zu entwickeln vermochten, setzte ihn jedesmal in Erstaunen; ganz abgesehen davon, daß in seiner Gegenwart die Maurer immer aßen und tranken. Alles von selbst. Bald würde das Gerüst ausgedient haben. Dann gab es kein Labyrinth mehr, sondern lauter glatt gestrichene Flächen. Auch der Erweiterungsbau für die Granaten sollte sich auf eine Halle beschränken, die, einem flüchtig übergeworfenen Regenmantel gleich, den Eisenteilen Schutz gegen das Wetter zu bieten hatte. Sie war noch nicht angefangen, die Leute schachteten zuerst eine tiefe Grube aus. Der Bauunternehmer, der überall anwesend war, liebte besonders die Fundamente. Zur Ausarbeitung der Konstruktionen und Voranschläge hatte Herr Valentin den Bautechniker Rollhagen engagiert. Um die Zeit, als er seinen Platz im Büro einnahm, verschwand Uhrich, dessen Selbstgespräche zuletzt wie Kindergekritzel zerflatterten, so daß Ginster nicht ermitteln konnte, ob bereits die neue dritte Frau das Hackbrett zu Ende ritzte oder ein Unbekannter. In der Speisekammer hielt sich jetzt Willi auf. Er füllte sie nicht aus wie andere Menschen, sondern ließ sie eher größer erscheinen; ein Gefäß kondensierter Milch, das hier tagsüber aufbewahrt wurde. Herr Valentin schüttelte es mitunter, und so nahm er ohne Scheu auch Rollhagen her, der die Biederkeit einer alten Ladenkasse besaß, in die der Tagesverdienst tropft; nicht viel, nur ein paar Groschen. Geübte Diebe hätten sich nie an ihr vergriffen. Wäre sie aber doch einmal gestohlen worden, sie hätte von selbst zurück in den Laden gefunden. Rollhagen, der in vorgerückteren Jahren stand, war froh, bei Herrn Valentin untergekommen zu sein. Er bewunderte Ginster, weil er zum Entwerfen weiche Bleistifte benutzte. Die seinen waren hart und langgespitzt. Sie brachten Zahlenkolonnen und Querschnitte hervor, die er mit seinem Seehundsblick über einen Leimpinsel von Schnurrbart hinweg fleißig bestrich. Da der Pinsel eingetrocknet war, standen die Haare auseinander. Es fehlte an Fett. Am geborgensten fühlte sich Rollhagen auf den blauen Linien von Formularen. In ihnen trug er sein ganzes Leben ein, um sich gegen Vorwürfe Herrn Valentins zu verteidigen, dessen Anstand unbedenklicher war als der seine. Der Zeitverschwendung angeklagt, holte er einfach die Formulare hervor und bewies aus ihnen jede Stunde des Tags: von zehn bis zwölf auf der Baustelle gewesen, von drei bis vier in dem Rohrleitungsgeschäft. Ginster war über so viel Zuverlässigkeit gerührt, die sich nicht lohnte. Wenn er sich mit Rollhagen allein befand, wiegelte er ihn nicht selten gegen das Büro und die öffentlichen Zustände auf. Dünn und trotzig klimperte es aus der Ladenkasse zurück. »Man sollte die Arbeit niederlegen«, erklärte der Bautechniker, »das Schandgehalt, das ich bekomme. Und die Generäle gehörten davongejagt.« Sein Zeichentisch bildete mit dem Ginsters einen rechten Winkel. Nach dem Eintritt von Herrn Valentin stand die Kasse wieder lautlos am alten Fleck. Viele Formulare wurden verbraucht, es ging in den Winter. Anna zündete früh das Öfchen an, oft zu spät, schürte immer wieder nach, das Öfchen erlosch, mußte von neuem angespornt werden. Dicke Holzscheite mit ein paar Kohlen obendrauf. Hinter ihm lag Pedro in einem Körbchen, wie im Sanatorium, dauernd untauglich. »Er ist so überempfindlich«, sagte Frau Berta, um das blaue Deckchen zu begründen, das sie ihm übergestreift hatte. Das Deckchen hätte auf einen Nähkasten gepaßt. Es verrutschte selbsttätig auf dem Boden, wenn der Ofen in einem plötzlichen Wutanfall zu glühen begann; ganz rot, ohne Besinnung. Ob heiß, ob kalt, um zwei Uhr nachmittags hatte Ginster seine Arbeit wieder aufzunehmen. Kam er zufällig pünktlich, so konnte es sich ereignen, daß er Herrn und Frau Valentin noch beim Mittagessen traf. Der Kohlennot wegen heizten sie nur im Büro, das sie während seiner Abwesenheit bewohnten. Auf einem gedeckten Tisch thronten Teller und Schüsseln. Ginster hatte immer geglaubt, daß der Gemüsegeruch allein aus der Küche dränge. Wie er erst später merkte, war der Tisch ein gewöhnlicher Zeichentisch, den zwei Holzböcke trugen. Es hätten Bilder an der Wand hängen sollen, die Pläne und Reißbretter störten. Für Pedro wurde am Öfchen serviert. Herr Valentin, der die Serviette um den Kragen geschlungen hatte, fühlte sich durch die Ankunft Ginsters in eine peinliche Lage versetzt.

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