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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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nicht um seine Schüler, fuhr vielmehr willkürlich über sie weg. Dennoch liebte ihn jeder. Es war so hübsch, wenn er seinen Bleistift spitzte oder sich mit der Lupe über alte Handschriften beugte.«
    Ehlers hatte ein unentwickeltes Knabengesicht, an dem seit der Schule nichts mehr geschehen war; freilich fehlte für Entwicklungen die Zeit. Fast fühlte sich ihm Ginster überlegen. Er plante, das Gespräch etwas obenhin fortzuführen, zwanglos, ohne den Mantel. »Ich habe mich bei den Fliegern gemeldet«, erzählte Ehlers noch, »den uninteressanten Frontdienst im Osten bin ich leid.« Ginster hätte nicht mit größerer Selbstverständlichkeit mitteilen können, daß er sich ein Theaterbillett genommen habe. Während Ehlers sich die Handschuhe überstreifte, ging eine Verwandlung mit dem Knabengesicht vor. Nicht so, als ob es sich weiter entwickelt hätte, aber es schien mit einem Mal in eine durchsichtige Lasur gehüllt, die feuerfest war und ihm die frühere Fremdheit verlieh. Die beabsichtigte Zwanglosigkeit konnte doch nicht gut angewandt werden. Wie Ginster einfiel, reiften Jünglinge, einer allgemeinen Erfahrung zufolge, im Feld schnell zu Männern heran. Wahrscheinlich war Ehlers schon zu Ende gereift. Hierfür sprach auch der Ton, in dem er »Zahlen« rief, gar nicht laut, aber unbedingt, der Ton hatte die Härte des Stricks und riß den Kellner herbei. Auf der Straße wurde Ginster gleich verabschiedet.
    »Na also, es war schön, daß wir uns einmal gesprochen haben, und grüße den Onkel.«
    Der Offizier winkte zurück. Ginster begriff nicht mehr, daß er sich soeben noch mit ihm unterhalten hatte. Man mußte feuerfest werden. Er ging an den Bahnhof, um sichdie Schuhe wichsen zu lassen. Wenn alles an ihm glänzte, fand er vielleicht auch den Ton.
    Pedro wurde von Frau Valentin das Hündchen gerufen, das ungefähr ein Jahr nach der ersten Musterung Ginsters im Büro auftauchte und fortan blieb. An einem Sommertag; es konnte aber auch im Herbst sein, die Saisons hielten sich nicht mehr so streng an die Regel. Das Hündchen war auf Grund der Hypnose entstanden, die Ginster seinerzeit mit Willi vorgenommen hatte: ein gewöhnlicher brauner Dackel, in der Mitte zu lang, wie auseinandergezogen. Sein Name stammte aus einem Roman. Eigentlich las Berta nur Buddha, der Roman war eine Ausnahme gewesen. Sie hatte ein Abonnement in der Leihbibliothek.
    »Finden Sie nicht, daß er nur Pedro heißen kann«, fragte sie Ginster, auf den Dackel weisend, »er hat etwas Edles im Auftreten. Hunde haben oft eine sehr zarte Seele, die Menschen sind roh. Sie werden es nicht glauben, aber Pedro versteht sich auf alle meine Gefühle. Hören Sie, wie er bellt. Er spürt feindliche Kräfte im Raum. Haben Sie schon einmal einen Hund besessen? Ich hätte es auch ohne Ihre Antwort gewußt. Wenn Sie einen Hund hielten, würden Sie vielleicht manches begreifen.«
    Wurde der Dackel von seiner Herrin gerufen, so legte er sich auf den Boden, ein zerbrochenes Porzellangefäß, dessen Teile eingesammelt zu werden verlangen. Er schielte, bellte, gähnte und schlief. Ein von ihm gesondertes Leben führte sein Schwanz. Da er gern spazieren ging, liebte er Hüte und Marktkörbe in der Hand. Herr Valentin nannte ihn Peter, die Bezeichnung Pedro war ihm zu überspannt. Deutsch oder spanisch: dem Dackel lag nichts daran. Morgens brachte ihm Herr Valentin ein StückZucker vom Frühstück mit und nahm ihn auf den Schoß, wo er, unter dem Tisch geborgen, im molligen Dunkel verharrte. Berta suchte ihn ohne Zucker zu meistern; rein durch Stimme und Augen. Einmal war er erkältet. Das Ehepaar betrachtete ihn zärtlich, Elternblicke über einem Bübchen. Die Annas wechselten in kürzerer Frist. Ginster ärgerte sich über die beflissene Freundlichkeit, die Menschen im Verkehr mit Hunden bewiesen. Untereinander machten sie Krieg. Niemals fehlte es den Hunden an Nahrung, darum waren sie auch alle so selbstzufrieden wie Pedro. In Stunden des Alleinseins mit ihm hob Ginster den Dackel von dem Fleck, auf dem er gerade vor sich hingedöst hatte, und verpflanzte ihn an eine andere Stelle; wie einen Kaktus. Dumm und süßlich blinzelte das Hündchen zu Ginster herüber. Die gekrümmte Masse, die sich, mit Härchen überall, weich ausbreitete, weckte unzüchtige Gedanken in ihm. Er erinnerte sich an die Sodomie aus der Bibel. Das Tier glotzte interessiert, wahrscheinlich schon durch Frau Valentin verdorben. Mit einer Feder, die er zum Reinigen der Pfeife verwandte

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