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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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– er bezog solche Federn aus der Geflügelhandlung nahebei –, kitzelte Ginster zuweilen das Fell an empfindlichen Punkten; nicht kräftig, sondern hauchartig in regelmäßiger Folge. Pedro schrie zornig, ein absichtlich übertriebenes Geheule, wie es Kinder verüben, die ihre Kameraden verklatschen. Wenn dann Berta erschien, war Ginster längst wieder in den Plänen verschwunden. Er spürte im Rücken, daß sie zu ihm hinstarrte, und hörte von weitem ihre Trostworte an Pedro, der sich bitter über ihn beklagte, unter dem besänftigenden Einfluß Bertas immer leiser wurde und schließlich strahlend in ihren Armen aus dem Büro schwebte, einem Verfolgten in älteren Sensationsromanen gleich, dem es in letzter Minutegelingt, sich mit Hilfe eines Ballons vor seinen Feinden zu retten. Kaum war der Dackel in Sicherheit gebracht, so kehrte Berta zurück und stellte ohne Erklärung das Telefon nach der Privatwohnung um. Der Ruck, mit dem sie den Hebel drehte, war eine figürliche Handlung und sollte die Hinrichtung Ginsters bedeuten. Zur Vergeltung führte er endlose Telefongespräche, die sie verhinderten, den Apparat zu benutzen. Während er sprach, trat sie immer von neuem in die Tür und machte Lärm auf dem Flur; der Oberbürgermeister wartete am anderen Ende der Leitung. Ein Nahkampf aus der Ferne, der Wunden schlug, die unsichtbar blieben, alles in Abwesenheit von Herrn Valentin.
    Gewöhnlich hatte Ginster gar nicht die Zeit, sich um den Dackel zu kümmern. Seit mit der Ausführung der Lederfabrik begonnen worden war, mußte er öfters auf der Baustelle erscheinen. Sie lag ganz draußen im Stadtwald, mitten unter den Bäumen, eine halbe Stunde zu Fuß von der Waldbahnstation. Rote Ziegelmauern brachen durchs Grün, eine Menge Arbeiter um sie her. Oben stand alles noch offen, ein Hohlraum, nur die Gerüststangen stießen in den Himmel, jede für sich. Wie sie so frei und unbelaubt aus den Backsteinen anstiegen, waren sie Ginster lieber als die Baumwipfel daneben, die immer bloß rauschten. Er mochte auch Waldhäuschen nicht, die den Anschein zu erwecken suchten, als seien sie nicht gebaut, sondern dem Humus entwachsen. Entweder hatte er dem Polier Zeichnungen mündlich zu überbringen oder sich mit dem Maschineningenieur zu besprechen: wie hoch die Fenstergesimse anzuordnen seien wegen der Kessel, welche Öffnungen im Dach, wo die Ventilation. Die Maschinen waren noch verwöhnter als Pedro, das Fabrikgebäude hatte sich rein nach ihren Bedürfnissen zu richten.Der für sie verantwortliche Ingenieur benahm sich wie ein berühmter Dompteur, der dem Zirkusdirektor Vorschriften über die Unterbringung seiner Bestien macht, mit denen er demnächst einzutreffen gedenkt. Fassaden verachtete er; wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man die Außenseiten nach innen verlegt, mit der strammen Front gegen die Kessel und Röhren. Manchmal wollte sich das Mauerwerk nicht so wenden, wie es die Maschinen verlangten. Dann begab sich Herr Valentin, von Ginster gefolgt, selbst in den Wald. Aus der Tasche sahen die Papiere hervor, deren einige immer zum Hinterzimmer gehörten. Die Planrolle wurde von Ginster getragen, der angestrengt nachdachte, worüber im Grünen zu reden wäre: ob von der Fabrik, dem Krieg oder den Blumen. Bei Spaziergängen fielen ihm fast nie spannende Themen ein. Während ihn das Bewußtsein quälte, daß eine Unterhaltung von ihm gefordert sei, die er nicht zu liefern verstand, schnaufte Herr Valentin mürrisch an den Buchenstämmen entlang, eine rundgewölbte Wanderarchitektur, aus deren Dunkel zwischen Weste und Hosenbund ein weißer Hemdenstreif heller als Buchenlaub blitzte. Hie und da hob er mit dem Stock einen Zeitungsfetzen auf, der ihn an städtische Angelegenheiten gemahnte. Sonst nur Gräser am Weg. Auf dem Bauplatz fühlte er sich wohler, wenigstens Wände zur Seite. Er entnahm der hinteren Tasche sein Zentimetermaß, das sich mit dem des Ingenieurs auseinandersetzte; gelbe Zickzacklinien, die über das Mauerwerk schlichen. Die Pläne rollten wie Schlangen am Boden. Wenn in seltenen Fällen Herr Beilstein an der Beratung teilnahm, hielt das Auto verlassen im Wald, als sei es durch einen Zauberspruch festgebannt und könne nicht fortbewegt werden. Ginster blickte zu den Stangen empor. Nach seinem Empfindenwurden die roten Wände nur aufgeführt, um das Baugerüst zu ermöglichen. Sie schossen viel zu schnell in die Höhe, so oft er kam, waren sie ein Stück weiter. Wie sie sich lediglich durch das

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