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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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das Zimmer. Ein Preis war ein Preis. Was Ginster im Frieden einmal anzufangen gedenke, fragte die Mutter, sie hätten, wie er wisse, kein Geld. Der Tante war Ginster überhaupt unverständlich, so viel Begabung ohne Lust. Wozu er denn Lust habe. Man muß Lust haben zu etwas. Immer mit Lust, dachte Ginster. Stumm nähte die Mutter, wieder hochrot und starr. Ginster wurde von der Tante in die Studierstube geschickt, um den Onkel zu versöhnen. »Der Onkel war so gut gelaunt vorhin«, sagte sie. Auf dem Korridor hörte Ginster, daß sie zu der Mutter über ihn sprach. Er ging noch in das Arkadencafé und zeichnete auf den Marmortisch unzusammenhängendeLinien mit einem Pünktchen darin. Ein Mädchen anzureden, wagte er nicht, schon wegen des Kriegs, und weil er dem Mädchen nichts sagen konnte, es lachte vielleicht, das Zimmer, die andern schliefen alle zusammen. Die Litfaßsäulen waren mit Vorträgen bedeckt; das Essen, der Ersatz, die Heizung, der Sieg, die Karten, die Lage, später und jetzt. Eine Kompanie marschierte in der Nacht wie die Gräberreihen des Friedhofs.
    »Gut, daß ich Sie allein treffe«, sagte am nächsten Morgen Berta zu Ginster, »ich möchte Sie etwas fragen.«
    Herr Valentin war schon früh in den Wald gefahren. Die Waldbahn ging nur dreimal am Tag. Berta lächelte, das Lächeln rührte vom Nachdenken her.
    »Nun sehen Sie, daß ich recht hatte neulich. Mein Mann hat den Preis erhalten, weil ich an den Preis glaubte. Das ist kein Geheimnis weiter. Wahrscheinlich haben auch Sie unter dem Einfluß meiner Worte geglaubt. Im Unbewußten natürlich, nicht mit dem Verstand.«
    »Sie wollten mich etwas fragen«, unterbrach Ginster. Das Lächeln verschwand, ein plötzlicher Witterungswechsel.
    »Sie sind ein Ungläubiger, wissen Sie, aber triumphieren Sie nicht zu zeitig mit Ihrem Verstand. Haben Sie Winfried gelesen? Ich dachte es mir. Komm, Pedro, ich bin ja bei dir, Frauchen ist hier, nicht wahr, wir beide. Warten Sie nur, wie es Ihnen einmal ergeht.«
    Die Frage schien unwiederbringlich verloren. Ginster blickte auf Bertas karierte Schürze. Vor Jahren hatte er in der Straßenbahn ein Heft liegen gelassen. Es enthielt nichts von Bedeutung, aber die Tatsache seines Verschwindens hatte ihn wie ein körperlicher Makel gequält.
    »Können Sie Zierschrift schreiben?«
    Ginster bejahte. Damals hatte er vergeblich sein Heft gesucht. Erst im Fundbüro war es ihm ohne sein Zutunwieder ausgehändigt worden. Ob Berta sich von Anfang an nach der Zierschrift erkundigen wollte, wußte er nicht. Sie ging aus dem Büro und kehrte mit einem Stoß von Zeichnungen zurück. Wortlos, mehrere Male.
    »Hier sind die Entwürfe meines Mannes. Bitte, fügen Sie den Friedhof noch bei. Zu Richards Geburtstag in zwei Wochen plane ich eine Mappe, die alle Blätter vereint. Sie soll die Aufschrift ›Künstlerische Entwürfe‹ tragen. Arbeiten Sie im Verborgenen, damit mein Mann nichts erfährt. Wie ein Kind kann er sich freuen. Er genießt in den weitesten Kreisen Vertrauen und ist doch so schlicht, müssen Sie wissen, aufbauend von unten nach oben.«
    Ginster sah mit Berta die künstlerischen Entwürfe Valentins durch. Die Läden vollständig anwesend, Schuppen, eine perspektivische Balkendecke, Häuser, Treppenhäuser, ein Glasoberlichtdach. Man mußte sich bücken wie bei einer Wanderung durchs Gehölz, Vorsprünge links, rechts, geradeaus. In einem Hindernis, das Ginster nicht aus dem Weg zu räumen vermochte, erkannte Berta die Villa des dritten Schulfreunds, der sich vom Beruf schon zurückgezogen hatte. Das Dorado war von der Umständlichkeit des verwickelten Satzes der Reklamation.
    Hätte die Tante nicht das geistige Leben in der Zeitung verfolgt, so wäre Ginster die Sitzung des Architektenvereins entgangen, in der eine Ansprache Valentins über den Ehrenfriedhof stattfinden sollte. Kaum acht Tage nach dem Preis. Die Tante wollte auf dem laufenden bleiben, niemand darf abseits stehen, wie weit hält der Krieg. Der Mutter war es in der Zeitung hauptsächlich um die Todesnachrichten und Verlobungsanzeigen zu tun. Sie interessierte sich für die Entwicklung der Familien, zwischen denen Fäden hin und her liefen, die von einer unsichtbaren Nähmaschine hervorgebracht zu sein schienen. WennGinster einen fremden Namen erwähnte, wußte sie um die Mütter und Kinder des Namens Bescheid. Der Architektenverein hielt regelmäßig Sitzungen ab. »Eine mehr interne Angelegenheit«, brummte Herr Valentin, um das Schweigen zu

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