Ginster (German Edition)
daß ich meinen Mann immer berate. Er rühmt meinen rein weiblichen Instinkt in praktischen Dingen.«
Ihre Brust schwoll etwas an, wie Ginster undeutlich erkannte. Es war genug Raum vorhanden für den Instinkt. Im Vertrauen auf ihn fragte er sie, wie lange der Krieg dauern werde und wieviele Soldaten noch fielen. Berta schüttelte mehrmals verneinend den Kopf.
»Sie haben mich nicht verstanden, Sie großes Kind. Es hängt nur vom Glauben ab. Wenn in Ihnen – ich sageausdrücklich in Ihnen – der Glaube lebendig wäre, gewänne der Friedhof meines Mannes den Preis, und kein Soldat brauchte zu fallen. Im Grunde ist alles so einfach, aber die Menschen sehen es nicht.«
Weg war sie. Ginster knipste das Licht an, in der Dämmerung schmerzten die Augen. Auf seinem Tisch stand eine elektrische Arbeitslampe wie in anderen Büros auch. Dennoch fühlte er sich bei ihrem Schein in das Gaszeitalter zurückversetzt, obwohl nicht das leiseste Vorhängchen den grünen Schirm zierte. Vielleicht rührte die Verwandlung von der langen Verbindungsschnur her, die sich immer verknotete, als seien zwei Schnüre beisammen und könnten nicht voneinander lassen. Nach einer halben Stunde lösten sie sich gewöhnlich von selbst; wenn Ginster die Trennung gewaltsam durchführen wollte, mißlang sie ihm stets. Eine Umständlichkeit wie in alten Romanen. Zur Elektrizität gehörten unempfindliche Stangen. Da der Ablieferungstermin drängte, arbeitete Ginster oft bis in die späten Abendstunden hinein. Einen Friedhof zu entwerfen, wie man ein Verwaltungsgebäude entwarf, erschien ihm um so unmöglicher, als die Tante erzählt hatte, daß Otto später auf dem Friedhof endgültig bestattet werden solle. Die Tante wußte davon auf dem Umweg über Frau Biehl, die sich jetzt für Soldatengräber besonders interessierte. Während des Zeichnens erinnerte sich Ginster an den Genueser Friedhof, der den wenigsten Leuten gefiel. Auf dem Grab eines verunglückten Alpinisten stand dort der Alpinist selbst in Bronze, zu seinen Füßen das gerissene Alpenseil, galvanisiert; nahebei eine verkleinerte Nachbildung des Mailänder Doms; Kapellchen mit Lichtern und marmorne Gruppen. Friedhöfe durften nicht die Übersichtlichkeit von Kursbüchern besitzen, sondern mußten ein Irrgarten sein wiedas steinerne Durcheinander unter den Pinien. Wenn es nach Ginster gegangen wäre, hätte man die Gräber so geheim angeordnet, daß ein jedes nur denen sich zeigte, die an ihm zu trauern begehrten. Er selbst zwar verband mit Aufenthaltsorten gewöhnlich keine Gefühle. Die Asche seines im Krematorium verbrannten Vaters war in einer Urnenmauer untergebracht, die eine Unzahl von Höhlungen für die Aschengefäße enthielt. Schwarze Steintäfelchen schlossen die Ruhelöcher ab. Besucher, die vor der Mauer in Betrachtung versanken, schienen auf die Öffnung ihrer Postfächer zu warten. Gewiß hätte Herr Valentin gegen die Ausbildung des Ehrenfriedhofs als eines Irrgartens nichts einzuwenden gewußt, aber Ginster verwarf auf einmal den Plan. Die Gräber wie Ostereier zu verstecken – das Vorhaben war ihm für die allgemeinen Kriegszeiten zu zart. Sie forderten eine Anlage, in der sich ihre Schrecklichkeit wiederholte. Anstatt die bisherigen Skizzen zu benutzen, verfertigte Ginster daher mit Reißschiene und Winkel ein Friedhofssystem, das einer militärischen Organisationstabelle glich. »Der Sieg ist eine Frage der Organisation«, hatte Hay schon öfters erklärt und auf seine Arbeit hingewiesen, die angeblich sämtliche afrikanischen Pflanzensorten verzeichnete. Ginster war froh, keine Pflanze zu sein. Sein Friedhof erfüllte Hays Ansprüche auch insofern, als in ihm jede Heimlichkeit sich verbot. Nach streng wissenschaftlichen Grundsätzen aufgereiht, für jedermann öffentlich. Rechteckige Gräberfelder richteten sich auf einen Mittelplatz aus, auf dem das Denkmal sich wie ein oberer Vorgesetzter erhob. Es bestand aus einem hochgelagerten Kubus, den mehrere Platten bekrönten. Drei Seiten des Würfels waren für das Namensverzeichnis der Gefallenen bestimmt, die vierte sollte einen Spruch tragen, der aber nicht zu großsein durfte, weil auf die Seite nur eine begrenzte Zahl von Buchstaben ging. Aus der Stadtbibliothek hatte sich Herr Valentin mehrere Spruchbücher entliehen, die er nach passenden Versen durchsuchte. Leise vor sich hin brummend, ermittelte er ihre Ausdehnung mit den Fingern der linken Hand. Die meisten Verse waren zu lang. Vielleicht hätte sich ein
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