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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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rechtfertigen, das er über seine Ansprache bewahrt hatte. Gegen Ginsters Absicht, der Sitzung beizuwohnen, konnte er aus Anstand nichts unternehmen, so peinlich ihn der Entschluß auch berührte; denn, wie es ausdrücklich in der Zeitung hieß, waren Gäste willkommen. Am Sitzungstag ging Herr Valentin im Hinterzimmer stundenlang auf und ab. Einmal zeigte er sich für einen Augenblick im Büro und fragte nach den Gräberbreiten. Er hatte die Zahl vergessen. Welche Höhe in Zentimetern das Denkmal besitze. Der Dackel und Berta wurden aus dem Büro gewiesen. Pünktlich um acht Uhr abends betrat Ginster mit der Tante den kleinen Versammlungsraum. Sie setzten sich auf die hinterste Reihe. Die Tante war mitgekommen, weil sie hören wollte, ob Herr Valentin Ginsters gedächte. »Eigentlich ist es unrecht, Herrn Valentin Verlegenheit zu bereiten«, sagte sie, »aber schließlich sind wir in unserem guten Recht.« Da sie sich gern aufregte, nährte sie ihre Spannung noch künstlich, indem sie Behauptungen umwarf, die sie selbst aufgestellt hatte. An der Vorderwand prangten die Kopien der Friedhofspläne. Ginster befand sich ihnen gegenüber in der Lage eines Menschen, der in einer Gesellschaft einen Bekannten von früher trifft, dessen anrüchige Vergangenheit er als einziger Mitwisser kennt. Manchmal sprang ein Reißnagel ab, dann wölbten sich allmählich die Bögen. Der gewellte Zustand war ihnen gemäßer. Das Sälchen füllte sich mit Architekten, durch deren ungewohnte Häufung sich Ginster auf die Hochschule zurückversetzt fühlte. Einige hatten sich zu Eigenheimen ausgestaltet inbesonderen Westen, andere glichen den Fensterreihen an öffentlichen Fassaden. Lauter Raumfiguren zum Greifen; die meisten Damen als Gattinnen eingerichtet. Gerne wäre Ginster ins Raumlose geflüchtet. Herr Valentin erhob sich klein über der Versammlung, den Zeigestock in der Hand. Offenbar hatte er schon seit mehreren Minuten das Podium bestiegen. Im schwarzen Anzug und dem mechanischen Bindchen wirkte er aus der Ferne wie ein Paßbild beim Schnellphotographen, ganz ins Allgemeine gerückt. Er nickte verschiedenen Hochbaubeamten zu, um den Eindruck abzuschwächen, den sein erhöhter Standort in ihm hervorrief.
    »Es ist eine bekannte Tatsache«, begann er auswendig, »daß die Zeiten hart sind, aber seien wir nicht undankbar gegen sie, denn der Krieg hat uns alle gleich gemacht, wie über so unter der Erde, und insofern ist er nicht nur menschlich bedeutend, sondern bringt auch uns Architekten Gewinn. Aus diesen Erwägungen heraus, denen sich zu meiner Genugtuung das Preisgericht angeschlossen hat, ist der Friedhof herangereift, den Sie hier vor sich sehen, leider sind die Kopien etwas verschwommen. Wir waren zu üppig, meine Damen und Herren. Ich bin bei meinem Entwurf von der festen Überzeugung getragen gewesen, daß die erwähnte Gleichheit, die als vaterländisch im höchsten Sinne bezeichnet werden darf, den Verzicht auf jegliche Schmuckbeigabe fordert, darum habe ich statt der gekrümmten Linien gerade gezogen, die so unerschütterlich sind wie die Reihen unserer Krieger, zahllose parallel laufende Reihen, an denen viereckige Gräberplatten nebeneinander stehen, deren genau abgemessene Gleichheit in der Einfachheit gipfelt, die dem grauen Ehrenkleid unserer Braven entspricht, das sich überallhin fortsetzt, bis in das errichtete Denkmalmit den gleich langen Kanten hinein, dem das Kranzgesims fehlt, da die feinen Profile den Kriegswürfel schädigen, der nackt sein muß, in Anbetracht seiner Bestimmung …«
    Die Tante konnte das Lachen nicht halten, weil Herr Valentin Ich sagte, als habe er selbst die Pläne gezeichnet. Schon drehten sich etliche Architekten um. Aus Furcht vor dem Aufsehen ermahnte Ginster die Tante zur Ruhe. Er kam sich wie Hay vor, der auch immer Verweise erteilte. Überhaupt nahm er nicht selten das Gebaren fremder Personen an, nur um einmal zu erproben, wie sie eigentlich lebten. Herr Valentin hatte ein Zettelchen entfaltet und deutete auf die Kopien. »Was die Gräberbreiten betrifft«, erklärte er, »so möchte ich betonen, daß ich auf ihre vorschriftsmäßige Ausbildung ein Hauptgewicht gelegt habe.« Nach Beendigung der Ansprache umdrängten die Architekten den Entwurf. Sie hatten ungeduldig darauf gewartet, ihm aus der Nähe auflauern zu können: wieviele Fehler sich in ihm fänden, aus welchem Versehen er preisgekrönt sei. Ginster, der mit der Tante im Hintergrund blieb, hörte sie flüstern. Die

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