Ginster (German Edition)
richtig berechneter Spruch vorerst noch erübrigt, doch Herr Valentin hoffte durch ihn einen günstigen Einfluß auf das Preisgericht zu gewinnen. Die Spruchseite war der Hauptallee zugekehrt, die zum Ausgang lief und sich schnurgerade in die Ebene fortzusetzen schien, von der aus mit einem Fernrohr der Spruch zu lesen sein mußte. Auch in die drei anderen Würfelseiten mündeten Alleen ein, die nur der geringeren Wichtigkeit wegen etwas schmaler gehalten wurden. Krümmungen hatte Ginster grundsätzlich vermieden. Damit das Laub die Symmetrie nicht zerstöre, zeichnete er es kubisch beschnitten. In Gestalt dicker schwebender Balken zog es sich an den Alleen entlang und unterstrich die Gewalt ihrer perspektivischen Wirkung. Von den Balken umgürtet, standen die Gräbermale in Reih’ und Glied; kleine Steinflächen ohne Schmuck. Einfachheit war in den Kriegsjahren die Losung der führenden Kreise. Das Denkmal blickte auf die Truppe nieder, als ob es unter ihr Musterung halte; indessen ließ sich nicht die geringste Unregelmäßigkeit entdecken. Rechts und links vom Portal hatte Ginster zum Überfluß zwei Pfeiler mit eingelassenen Nischen vorgesehen, die an Schilderhäuschen erinnerten. Jeder Fluchtversuch wäre gescheitert. »Der Friedhof ist jetzt zwingend«, meinte Rollhagen, »vollkommen eckig und klar.« Er hatte allerdings auch die früheren Irrgarten-Entwürfe gebilligt, räumte aber nachträglich ein, daß sie ihm unbehaglich gewesen; die Kohle zu frei hingewischt,nur Phantasie. Ihn umzustimmen, war so leicht, daß Ginster ihm binnen einer Minute das Behagen an den Ecken zu rauben vermochte. Dann gab er es ihm wieder zurück, der Bautechniker verlor sonst den Halt. Lauter Spielerei, Ginster war traurig. »Sind die Gräberbreiten richtig?« fragte Herr Valentin. Sie stimmten. »Man wird sie ausdrücklich eintragen müssen«, schrieb er vor und überflog das ganze Projekt. Genau betrachtet hatte er es noch nie, immer in den Ämtern, bei Beilstein und Baum. Der Entwurf befriedigte ihn innerlich nicht, alles ohne Schwierigkeit, das viele Grün, die endlosen Mauern. An irgendeiner Stelle hätte sich eine Treppe emporschrauben sollen, die gerade noch den Podest erreichte, vielleicht im Denkmal, für die Trauernden wegen der Aussicht. Ginster widerriet dringend, warnte auch davor, den Kubus mit einem Kranzgesims zu verzieren. Das Gesims wünschte Herr Valentin als Entschädigung für die Treppe. »Feine Profile schaden dem Würfel«, versicherte Ginster, »Kriegsmonumente bedürfen schutzloser Kanten.« Aus Mangel an Gegengründen schickte sich Herr Valentin in den Verlust der Profile. »Nun ja«, sagte er brummig, »schließlich ist der Friedhof für die Soldaten.«
Einige Wochen später kehrte Herr Valentin vormittags zu ungewohnter Zeit ins Büro zurück. Er war seit einer Stunde erst außer Haus. Auf seinem unrasierten Gesicht lag ein Ausdruck von Glück, der aber die Züge nicht recht zu ändern vermochte; als sei das Glück fremd zugewandert und werde von der Schwelle gewiesen. Der Friedhof war mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden. Kaum entsann sich Ginster noch des Entwurfs. Herr Valentin hatte seinen Erfolg soeben in den Kommissionen erfahren, die öffentliche Bekanntgabe sollte nicht vor morgen geschehen. Das Glück war also einstweilen vertraulich. Um esganz auszuschöpfen, ließ sich Herr Valentin von Willi die Friedhofspläne wieder hervorholen und spazierte mit einer frischen Zigarre über die Alleen und Gräber. Da er Willi, das Pauspapier, Ginster und die Kohlen bezahlte, war der Friedhof sein Eigentum. Er entdeckte jetzt eine Menge überraschender Schönheiten ringsum, auf die er Ginsters Aufmerksamkeit lenkte. Die Schönheiten hatte er nicht in sich vermutet. Dennoch wäre ihm der zweite Preis lieber gewesen. Ginster wurde von der Empfindung beherrscht, Herr Valentin habe sich heimlich mit ihm verlobt. Zu Hause behandelten sie ihn wie einen überführten Verbrecher. Die Tante bestand darauf, daß er als Architekt zur Welt gekommen sei, und verbreitete sofort die Nachricht von der gewonnenen Konkurrenz; die Mutter verlangte, daß er sich nach dem Krieg selbständig mache. Sie baten Ginster um Aufklärung über Friedhöfe und Häuser. An den Fronten war gerade Ruhe eingetreten, eine Windstille, bei der das Gespräch sich nicht von der Stelle bewegte. Abends gab es besseres Essen. Dabei hatte Ginster den Preis gar nicht gewollt. Als er die Architektur der Langeweile zieh, verließ der Onkel böse
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