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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Friedhof zu sein. Ginster hatte die Ziffer aufs Geratewohl verdoppelt.
    »Und das Denkmal?« fragte er weiter. »Glauben Sie, daß es von der Ebene aus erblickt werden muß? Oder nur im Friedhof selbst, unter den Bäumen. Jenes wäre moderner.« Durch ein Wärzchen auf Valentins Hals wurde er an das Denkmal erinnert.
    »Zu überlegen ist auch«, sagte Herr Valentin, »die Breite der Gräber.«
    »Wahrscheinlich doch wie ein gewöhnliches Einzelbett«, äußerte Ginster, dem die Breite zunächst unwesentlich dünkte. Aber Herr Valentin hielt an ihr fest.
    »Es gibt vorschriftsmäßige Gräberbreiten«, erklärte er. »Ebenso sind die Abstände zwischen den Gräbern gesetzlich geregelt. Ich werde mich bei der Inspektion sofort nach den Maßen erkundigen.«
    Er rief die Inspektion an und notierte die Maße.
    »Sie wissen jetzt ungefähr, wie ich mir den Entwurf ausgeführt denke«, sagte er im Fortgehen zu Ginster. An seinem Paletot war der obere Knopf abgerissen, vermutlich durch die Zeitungen und Berichte im Innern gesprengt. Eine Thermosflasche. Der steife Hut aufgepreßt; schwarz.
    Ginster hantierte mit der Zeichenkohle, immer ein Pauspapier über das andere. Es sollte Papier gespart werden, aber die Kohle ließ sich nicht bändigen, sondern fiel in Flocken nieder, wuchs am Horizont als Gewitterwolke herauf und entrollte sich wie eine Gardine. Sie anzustacheln, bis sie aller Schranken vergaß, gehörte zu Ginsters heimlichen Freuden. Rollhagens dünne Bleistiftstriche fürchteten sich vor der tiefschwarzen Raserei. Schlechternährt, wie sie waren, blieben sie lieber unter Dach und Fach auf den blauen Linien der Formulare. Nachmittags schlüpfte Frau Valentin mitunter ins gewärmte Büro, ohne von den winzigen Katastrophen zu ahnen, die sich auf dem Zeichenbrett neben ihr begaben. Sie wickelte Wolle auf und ab und tat Wäsche aus dem Korb und wieder hinein. Gewöhnlich wurde sie von einem großen Gefolge begleitet: aufgeschlagene Bücher unter Fäden und Hemden, Holzklammern vom Dachboden, hinten in der Frisur ein Schleifchen. Einzig Pedro war über Berta beglückt. Er trug neuerdings einen Halsreif, der klirrte; wenn er, wie es zweifellos in Frau Valentins Absicht lag, noch weiter ausgestattet wurde, sah man überhaupt nichts mehr von ihm außer dem Schwanz. Beide kosten miteinander oder pflogen Umgang mit dem Öfchen. Sein Summen und der Ehrenfriedhof erhoben Berta innerlich über die Wäsche.
    »Wissen Sie, daß ich an die Seelenwanderung glaube«, sagte sie zu Ginster, »der Buddhismus hat recht.« Rollhagen war gerade fortgegangen, zu den Granaten.
    »Wenn man nur mitwandern könnte«, entfuhr es Ginster. Er war müde, hörte die Zimmerluft rauschen. Aus Höflichkeit erwiderte er Bertas Blick. Ihre Augen vergrößerten sich im Halbdunkel zu Wassereimern, in denen Ginster untertauchte, ohne etwas zu finden. Fast wäre er bei der Gelegenheit ertrunken.
    »Sie glauben nicht«, sagte Berta. »Glaube vertreibt die Müdigkeit und sättigt; auch körperlich. Kennen Sie das Buch von Albert Winfried: ›Die Seele im Aufbau der Welten‹? Es enthält noch andere solcher Sätze. Winfried ist sehr berühmt, ich stehe seit einiger Zeit mit ihm in Korrespondenz. Er redet mich Liebe Freundin an. Überall bilden sich Beziehungen zwischen Mensch und Mensch. Seinen letzten Brief, der besonders schön war, oder nichteigentlich schön, sondern besser: erbauend, trage ich stets bei mir.«
    Nach einer Weile:
    »Man muß nur glauben wollen !«
    Sie hatte sich mit gekreuzten Armen neben das Öfchen gestellt und strengte sich an zu glauben. Ganz starr, ohne an der Wand anzulehnen. Ginster schwieg; saß da. Er dachte, daß ihre Seele gar nicht wandern könne, weil sie bei der geringsten Bewegung in tausend Teile zerfiel. Splitter von Bertas Seele zerstreuten sich über die Welt. Die Stille ward peinlich. Um ihr ein Ende zu machen, fragte Ginster, ob Berta gerne auf Friedhöfe gehe.
    »Ich bin einmal während der Ferien in einer Leichenhalle gewesen«, sagte Berta mit gekräuselter Stirn. »Wissen Sie, Leichenhallen sind in katholischen Gegenden Brauch. Die Toten ruhen in Glaskästen und sehen herrlich aus. Wie Wachspuppen, leicht gelblich. Ein rührendes Geschöpf war das Mädchen im Konfirmandenkleid. Ich wäre stundenlang geblieben, hätten wir nicht zum Zug gemußt. Die Menschen fürchten sich grundlos vorm Tod.«
    »Auf dem Ehrenfriedhof werden die Soldaten nicht zu besichtigen sein«, sagte Ginster.
    »Ich weiß, Sie müssen wissen,

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