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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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wenigsten unter ihnen waren im Reden geschickt; es ging ihnen schlecht. »Nein, so etwas«, sagte die Tante, »dich gar nicht zu nennen.« Sie war empört und lachte dann wieder, immer abwechselnd, eine Torte in Schichten. Ginster schob sie zur Tür hinaus, um ein Gespräch zwischen ihr und Herrn Valentin zu verhindern. Ihre übertriebenen Seitenblicke hätten sein Mißtrauen zu erregen vermocht. Sie liebte die Lebhaftigkeit an sich, und nicht zu Unrecht behauptete sie bisweilen, daß es schlimm mit ihr stehe, wenn sie nicht in einem fort spreche. Herr Valentin seinerseits war aus Unsicherheit stets auf der Hut. Zuletzt siegte bei der Tante das Lachen. Die Befriedigung, die Ginster empfand,wurde durch eine Spur von Bitterkeit nur noch versüßt. Man hatte ihn verheimlicht, nun war er wie unter einer Tarnkappe geborgen. Bei der Betrachtung sorgfältiger Stickereien hegte er häufig den Wunsch, daß sich ein Teilchen des Musters aus dem Zusammenhang stehlen möge. Vielleicht kam er später, wenn es ihm paßte, wieder zum Vorschein. »Das war mein schönstes Erlebnis im Krieg«, sagte die Tante auf dem Heimweg, »ich muß es gleich zu Hause erzählen.«
    Kurz danach wurde Ginster von Anna gegen Mittag aus dem Büro in die Privatwohnung gebeten. Er wäre in einer halben Stunde zum Essen gegangen. Soviel er sich erinnerte, feierte Herr Valentin heute Geburtstag; wenigstens war er gegen seine Gewohnheit während der Frühstunden dem Büro ferngeblieben. Noch nie hatte Ginster die eigentliche Wohnung betreten. Da Berta, wenn sie den Vorplatz überquerte, stets aus der Küche kam oder wieder in sie zurückkehrte, nahm er als selbstverständlich an, daß es einen anderen Zugang zu den Wohngemächern nicht gäbe. Den Weg durch die Küche schnitt Anna ihm ab. Wie er gerade noch feststellen konnte, befand sich auf der gegenüberliegenden Seite der Küche eine zweite Türe, die nach einem schmalen Flur zu offen stand. Der Flur zog sich wahrscheinlich an der Hofwand entlang. Von neuem auf den Vorplatz verwiesen, schwankte Ginster, ob er nicht lieber überhaupt den Besuch unterlassen solle; denn der einzig erreichbare Wohnungsteil, der sich außer der Küche ihm bot, war das verschlossene Zimmer. Anna bekümmerte sich nicht mehr um ihn, sondern sang zum Rauschen des Spülwassers ein Liedchen. Ungläubig drückte er die Klinke nieder, die geheimnisvolle Türe war gar nicht zugesperrt, er drang in das Zimmer. Es war ein auf Rosa gestimmter Raum, ganz wunschlos und hell.Hätte sich nicht der Schnee wie eine Barriere vor den Fenstern gehäuft, so wäre das Rosa ausgelaufen, über die Straße, in den Himmel hinein. Mit der Leichtigkeit des Gewölks legte es sich auf Stühle und Wände, die, von ihm angehaucht, zu Salonstücken wurden. Ginster fuhr sich verstohlen über die Backe; vielleicht war sie schon rosa angestrichen. Er glaubte durch eine gefärbte Glasscherbe zu blicken. Die Brummstimme Valentins klang lauter als sonst; es rasselte aus dem Lüster. Flüchtig sah Ginster nach oben, verirrte sich zwischen gewellten Goldrahmen und landete bei einer Staffelei, deren lackierte Schwärze so dröhnend in die zarten Zimmertöne brach wie Herrn Valentins Organ. Auf der Staffelei, zu der ein Klavier gehört hätte, lehnte die jüngst bestellte Geburtstagsmappe mit der von Ginster gezeichneten Aufschrift: »Künstlerische Entwürfe«. In der Meinung, daß er in den Salon gerufen worden sei, um zu gratulieren, sagte er eine Glückwunschformel her, zu der Berta nickte wie ein befriedigter Regisseur. Herr Valentin wehrte indessen den Geburtstag als unverdient ab. »Ich wollte Ihnen nur noch eigens danken für Ihre Unterstützung beim Friedhofsentwurf«, sagte er zu Ginster und überreichte ihm einen dicken Prachtband, der früher nicht vorhanden gewesen war. Vermutlich hatte er ihn aus der Tasche geholt, im Zimmer fehlte ein Tisch. Das Werk, das Ginster aus Höflichkeit sofort zu durchblättern begann, enthielt zeichnerische Aufnahmen aus der Altstadt, die in einer längst verschollenen Federtechnik ausgeführt waren. Es schien bereits seine Jugendjahre mit Herrn Valentin gemeinsam verlebt zu haben. Da Ginster es seines Gewichts wegen nicht immer auf dem Schoß tragen mochte, ließ er es längs des vorderen Stuhlbeins unauffällig zu Boden gleiten. »Haben Sie Geschwister«, fragte Berta, »odersind Sie der Einzige? Ich wußte es gleich. Ihr Vater ist tot? Nehmen Sie nur, aus besten Zutaten, müssen Sie wissen.« Sie meinte die von ihr

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