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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Otto ist tot. Mimi – die Frauen verschließen sich mir. Alle wissen zu leben, ich sehe, daß sie über mich hinweg leben und finde den Zugang nicht. Immer schieben sich Wände vor, man muß höflich sein und versteckt. Es ist doch etwas in mir. Nun ist der Krieg …« Während die Worte sich herausdrängten, wußte er bereits, daß er älter war als das unreife Zeug. Es ließ sich nicht ändern. »Verzeihen Sie«, fügte er hinzu.
    »Warum ich Sie zu bleiben bat«, sagte Frau van C., »nehmen Sie an, daß ich mitunter an Sie dachte seit jenem Abend.« Sie knöpfte den linken Handschuh auf.
    »Ich habe schon oft darüber gegrübelt«, fuhr Ginster aus einem ihm unerklärlichen Sprechzwang fort, »worin sich die andern von mir unterscheiden. Die Menschen sind an ihrem Leben interessiert, sie haben Ziele für sich, wollen besitzen und etwas erreichen. Jeder Mensch, den ich kenne, ist eine Festung. Ich selbst will nichts. Sie werden mich nicht verstehen, aber am liebsten zerrieselte ich. Das hält die Menschen von mir fern. Ich schlafe in einem gleichgültigen Zimmer und besitze nicht einmal eine Bibliothek.«
    »Caspari spielt falsch«, sagte Frau van C. Nach einer Pause: »Dieser Krieg wird ein böses Ende nehmen. Ich weiß so vieles …«
    Ginster lauschte.
    »Sie sind ein merkwürdiger Mensch«, sagte sie, »man ist gezwungen, aufrichtig Ihnen gegenüber zu sein.«
    Ihr Gesicht war nicht mehr ein Glanz in der Luft wie vorhin, sondern jene Grottenformation, deren sich Ginster vom Fest her entsann. Einer Wolke gleich lautlos gewandelt. Weiß lag der Handballen im linken Handschuh. Ginster – er war es nicht – küßte die Stelle. Er hatte einen Handballen geküßt. Vergessen der Krieg; nur glücklich.
    »Wir werden uns wiedersehen«, sagte Frau van C.
    »Ich glaube es nicht«, erwiderte Ginster. In drei Tagen –
    Sie waren vor dem Hotel angelangt, wo Caspari und der Herr im Pelz sie erwarteten.
    »Autofahren Genuß«, sagte der Herr gerade. Er hielt sich aufrecht, eine verkleidete Schmucksäule, die im Innern aus Eisen bestand. Das Rohr von Eisen, unsere eiserne Wehr. Wahrscheinlich trug er sonst eine Uniform.
    »Man fühlt sich angesichts der Menge als Autokrat«, meinte Ginster.
    »Sehr gut«, sagte Professor Caspari und lachte. Erst die allgemeine Heiterkeit belehrte Ginster über seinen Witz. Auto – Autokrat: eine unbeabsichtigte Pointe. Es ging ihm öfters so, daß er eine Pointe anbrachte, die nur die andern bemerkten. Sie bildete sich von selbst. Er hatte einfach sagen wollen, daß die Auto-Insassen sich mächtig dünkten. Wenigstens war er sich in den seltenen Fällen, in denen er ein Auto benutzt hatte, als ein Herrscher erschienen.
    »In den nächsten Tagen fahre ich nach Hause zurück«, sagte Frau van C. zu dem Herrn. »Mein Mann kandidiert als Innenminister.« Sie nickte. Das Lächeln. Mit Caspari verschwunden.
    Der Herr: »Sind Sie vom Militärdienst befreit?«
    Ginster: »In drei Tagen …«
    Der Herr war befriedigt und empfahl sich sofort. Beim Abschied knickte er gemessen zusammen; im Innern mußte eine Bruchstelle vorhanden sein. Wahrscheinlich zeigte er sich mit einem zukünftigen Gemeinen nicht gern. Ginster trällerte. Er hatte den Handballen geküßt.
    In der Nacht träumte er, daß er in fremde Länder verschlagen worden sei, wo er einen Weltwitz machte, der von einem ungespitzten Bleistift handelte. Der Bleistift stieß alle fort. Die Eingeborenen von Chile lachten über den Witz.

VII
    Am nächsten Morgen traf Ginster in der Stadt Hay.
    »Hast du eine Armbanduhr?« fragte der.
    »Nein, eine gewöhnliche …«
    »Du brauchst beim Militär eine Armbanduhr.«
    »Warum? Meine Taschenuhr …«
    »Ich sage dir noch einmal, daß du eine Armbanduhr haben mußt.«
    Um die Gründe für sich behalten zu können, begann Hay zu brüten. Obwohl Ginster eine ihm aufgezwungene Tätigkeit nicht auch noch durch eigene Anschaffungen zu rechtfertigen gedachte, wollte er doch die Mutter zu Hause gleich von der Armbanduhr unterrichten. Sie telefonierte gerade. »Noch zwei Tage – – einmal mußte es sein – –.« Telefongespräche waren der Mutter unangenehm, weil die Worte vom andern Ende sie wie Feinde überrumpelten; aus dem Hinterhalt, zu plötzlich. Auch fielen ihr Trauerkärtchen und Glückwunschbriefe schwer, in denen sofort schriftstellerische Gefühle erzeugt werden sollten. »Welche Sachen hat er nach Ihrer Meinung nötig – – – ein Holzkistchen, wie groß – – – ja – – was

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