Ginster (German Edition)
Holzkistchen. Ginster tat, als hülfe er mit. Die Mutter warf ihm von alters her vor, er könne nicht packen, verhinderte aber aus Sorge um die richtige Lage der Gegenstände zugleich, daß seine Fähigkeiten sich entwickelten. Bei früheren Reisen hatte sie die Anzüge immer so kunstvoll mit Stecknadeln an den Kofferwänden befestigt, daß es ihm nach der Ankunft als Unrecht erschienen war, den Zusammenhang wieder zu zerstören. Meist waren ein paar Stecknadeln im Futter hängen geblieben; sie verkrochen sich gern. Das Holzkistchen war ein kleiner, würfelförmiger Kasten aus hellem, ungestrichenem Holz mit einem abnehmbaren Sicherheitsschloß und einem Henkel oben zum Greifen. Wäre das Kistchen etwas länger gewesen, so hätte es einem Privatsarg geglichen. Innen nicht tapeziert; nur Holz. Da der Henkel genau in der Mitte saß, war nicht Platz genug, um sich bequem auf dem Deckel niederzulassen, wenn die Kiste ruhig stand. Wurde sie dagegen getragen, so erwies sie sich als zu breit; denn beim Gehen stieß sie, wie Ginster bereits ausprobiert hatte, fortwährend wider die Beine. Sein Bemühen, sie von sich fernzuhalten, wurde mit Armschmerzen erkauft. Es hätte ein Stück abgeschnitten oder hinzugefügt werden sollen, so, wie das Kistchen jetzt sich darbot, war es allen Richtungen feind, ganz in sich abgeschlossen, ein Holzigel, nicht die winzigste Ritze zu finden. Am Fuße der Zimmermöbel, deren Linien über denDeckel hinausstrichen, hockte es leer und anmaßend wie ein Aftermieter – eine zählbare Summe gehobelter Flächen, die Ginster sich zu bekritzeln scheute; als habe er es mit einem neuen Notizbuch zu tun. Er hielt es für unwahrscheinlich, daß etwas in die Kiste hineinging, aber ihr Innenraum dehnte sich unter den Händen der Mutter um so gewaltiger, je mehr Sachen sie in ihm austeilte und häufte; der Zylinderhuthöhlung eines Varietékünstlers gleich, der endlose Bänder entströmen. Auf dem Kistengrund lagen häßliche Trikothemden, die zum Glück nie das Tageslicht erblicken konnten, da die Uniform sie völlig bedeckte. Das Militär fing schon auf dem bloßen Körper an; in Gelb. Außer den Hemden hatte Frau Öttinger noch für die Kälte im Freien Fäustlinge empfohlen, die ungegliederten Säcken ähnlicher als Handschuhen waren; ferner riesige Flanellappen zum Umwickeln der Füße bei Märschen. »Weißt du, wie man die Fußlappen benutzt?« fragte die Mutter. Sie faltete ein Tuch auseinander und nötigte Ginster, es sich anzulegen. Er dachte an die Sanitätskolonne zurück. Als er den Stiefel anziehen wollte, rutschte der Verband. Drei Versuche umsonst, die Mutter zog selber. »Du bist aber auch zu ungeschickt«, sagte sie, faltete den Lappen wieder zusammen und steckte die Tücher ins Kistchen. »Vielleicht machen wir keine so großen Märsche«, erwiderte Ginster. Das Flanelltuch hatte sich zum Streicheln zart angefühlt, er freute sich, daß es zwischen den Holzwänden untergebracht war. Nur ungern duldete die Mutter, daß er seine eigenen Sachen zu den übrigen packte, der Aufbau war zu empfindlich. Zwar gehörten ihm auch die von ihr angeordneten Dinge, aber doch nicht so persönlich wie die Stumpenpakete, die er jetzt überall einpflanzte. Am liebsten wäre ihr gewesen, wenn er sich bei Bedürfnissen beruhigt hätte, dieihr die alleinige Herrichtung des Gepäcks ermöglichten. Als der Deckel schon zugeklappt war, fiel ihm ein, daß er die Bücher vergessen habe. Er kramte. »Immer die Bücher«, klagte die Mutter. Sie stand sich nicht gut mit den Büchern, weil sie die Wäsche bedrängten. Es mußte ein dünnes Bändchen sein, an den dicken trug er zu schwer. Zur Eile gemahnt, beschied er sich schließlich bei einem aufs Geratewohl herausgegriffenen Buch, das offenbar jahrelang unbeachtet hinter der vorderen Bücherreihe ausgeharrt hatte. Eine Sammlung lyrischer Gedichte, die ihm leid tat wie ein übersehener Mensch; ganz verstaubt. Die Mutter wischte das Buch mit dem Staubtuch ab und verschloß die Kiste. »Endlich«, sagte sie, »verliere nur nicht den Schlüssel.«
Wie immer bei längeren Abschieden blieb Ginster den ganzen Abend zu Hause, statt wie sonst nach dem Abendbrot zu verschwinden. Inmitten der Familie kam er sich wie ein Geschoß vor, das tief in das Kanonenrohr gepreßt wurde, um dann abgefeuert zu werden. Der Onkel, der zu Ehren Ginsters sich ausnahmsweise auch im Wohnzimmer aufhielt, ärgerte sich, daß die Tante wieder einmal ihre Brille suchte. Sie besaß, wie der Onkel,
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