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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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auseinanderentwickelt hätte. Ginster nahm sich vor, den Übergang zum Glanz am Schluß heimlich zu belauschen. Die Hand an den Kopf gepreßt, verharrte er regungslos wie ein aufgewachter Schläfer, der im Dunkel die Schritte von Einbrechern zu hören glaubt. Minutenlang Ruhe, die Schritte waren eine Täuschung gewesen. In einer Traumflucht, die durch ihn hindurchglitt, als werde er selbst geträumt, erschien ihm die Dame. Grün das Kleid unter dem blasseren Schal. Sie sah jünger aus, als er sie in Erinnerung hatte; aber vielleicht war er nur älter geworden. Zwei in der gleichen Richtung fahrende Züge, von denen der spätere den zuerst abgelassenen einholte. Unsere militärische Überlegenheit, sagte Professor Caspari, ist in dem Wesen der Gerechtigkeit gegründet. Joko, hatte der grüne Papagei immer geschrien. Einmal war Ginster, wie ihm jetzt einfiel, in einem Eselswägelchen an den Tieren vorbeikutschiert. Er schnellte auf. Vorbeikutschiert auch der Übergang. Zerstreut gewesen, für einen Augenblick nur zerstreut. Aber gerade den winzigen Augenblick hatte der Übergang offenbar benutzt. Nun war die Gelegenheit, ihm beizuwohnen, für immer verpaßt. Wie der weiße Hirsch auf und davon. Das Publikum klatschte, rief Professor Caspari mehrmals hervor. Vermutlich war der Übergang besonders überraschend gewesen. Ginster bereute seine Abwesenheit. Man mußte doch ein eigenes Wesen besitzen, das allgemeine Völkerwesen war nicht genug. Dreiviertel zehn. Nach Hause.
    Am Ausgang wartete er und zählte die Kannelüren an den Pilastern. Die Dame kam nicht. Sie kam, nachdem sich das Publikum verlaufen hatte; mit Professor Caspari, in einer kleinen geräuschvollen Gesellschaft. Frau van C. wurde sie genannt. Der wiederaufgetauchte Namemachte sich an Ginster mit der erheuchelten Unschuld eines Hundes heran, der davongelaufen war. »Eigentlich wollte ich …«, sagte Ginster, »es ist schon so spät.« Vergeblich sein Sträuben. Er solle doch bleiben, zu schade, wenn er nicht bliebe. Da sich Frau van C. seiner im übrigen nicht annahm, war ihm unklar, wozu sie auf ihm bestand. Professor Caspari, dessen Arm sie ergriff, schaute in ihn hinein. Die Größe seiner Augen erhielt sich auch in der Nähe; eher noch größer; graublau. Ein öffentlicher Denker, zu dem Ginster gesellschaftlich in Beziehung trat. Wenn nur nicht Professor Caspari bereits seine Wesenlosigkeit bemerkt hatte. Noch andere Personen waren zugegen, unter ihnen der bengalisch beleuchtete Wasserfall. Sie standen unschlüssig auf der Straße. »Caspari und ich sind hier fremd«, sagte Frau van C. Ein in Vorschlag gebrachtes Weinrestaurant wurde nach gründlicher Erörterung gutgeheißen; es gäbe dort Gerichte hintenherum. Lieber hätte Ginster ein Café aufgesucht. Alles lachte, immer das Essen. Folgsam schritt er zwischen zwei Mänteln, in einem fort kurze Aufenthalte, lauter Klippen, allein kam er rascher vom Fleck. Der Herr, der um die Gerichte Bescheid gewußt hatte, trug einen Pelz. Ginster, der bei seinen Angehörigen aß, bewegte sich sonst in der Stadt auf einem Liniensystem, das die Weinlokale nur aus der Ferne umstrich. Manche Systeme überschnitten sich nicht einmal. In dem hellen, schön gewärmten Restaurant glaubte er leicht über dem Boden zu schweben. Die Wände spiegelten ihn, der rötliche Marmor glänzte beschäftigungslos oder warf Lichter zurück. Professor Caspari hatte Hunger. Um nicht Aufsehen zu erregen, war auch Ginster genötigt, ein Gericht zu bestellen. Höchstens ein Eieromelett, er habe schon zu Abend gegessen; wirklich ja leider. Links von ihm schwieg einefremde Dame, auf der rechten Seite stürzte der Wasserfall in die Teller. Seinem Rauschen entnahm Ginster, daß Professor Caspari soeben von einer Reise in der Schweiz und Holland zurückgekehrt war, wo er vor den internierten Studenten gesprochen hatte. Der geheime Zweck der Vortragstournee seien aber Verhandlungen mit gewissen einflußreichen Persönlichkeiten gewesen. Das Rauschen sank zum Flüstern herab, hörte dann auf. Gegenüber saß der Herr mit dem Pelz vorhin, ein langes Stück Rohr ohne Anfang und Ende, das in einem Stehkragen steckte. Wenn er sich selbst verschluckte, war es um ihn geschehen. An seinem oberen Abschluß hatte er entweder eine Glatze oder bleiches, kurz geschorenes Haar. Ginster dachte, daß noch ein Monokel fehle. Der Herr klemmte es im gleichen Augenblick ein, was Ginster für ein glückliches Vorzeichen hielt. Durch den ungewohnten Weingenuß

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