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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Entwicklung einreihen zu lassen. Daß Ginster unter Umständen Dome langweilig fand, die aus einer Frühzeit stammten, nahm er ihm übel. »Du bist doch Architekt«, zürnte er dann. Nein, Hochbauingenieur, sagte Ginster zerstreut vor sich hin. Sein Nebenmann drehte sich einen Augenblick nach ihm um. Alles stand wieder stramm, weil der Feldwebel oder Unteroffizier sich anschickte, die Namen der Leute zu verlesen, deren Reklamationsgesuche bewilligt worden waren. Die Leute sollten nach ihrem Aufruf aus den Reihen treten und sich gesondert aufstellen. Lauter Gruppen. Als Ginster im stillen gerade die Beobachtung machte, daß zwischen der Eintönigkeit des Silbenzugs und der Schönschreibeschrift von Schalterbeamten einegewisse Übereinstimmung herrsche, ereignete sich ein Zwischenfall.
    Sein eigener Name steht in der Halle. Er selbst ist noch einmal reklamiert.
    Während er vortritt, wickeln sich in ihm wie von einer Garnspule haarfeine Überlegungen ab: Wenn ich die Reklamation annehme, darf ich wieder nach Hause. Aber vielleicht trifft dann bereits innerhalb der kommenden acht Tage ein neuer Gestellungsbefehl ein, und ich müßte von vorn anfangen mit dem Kistchen, der Trambahn, dem Hof. Allerdings lohnte sich die Rückkehr schon Herrn Valentins wegen, der sehr stolz darauf sein wird, daß er mich in letzter Minute den Wogen entrissen hat, wie Berta sagen würde, wissen Sie, den Wogen. Ich möchte mich ihm als Beweisstück für seine Fertigkeit in Gesuchen darbringen. Doch nun bin ich nach so vielen Gefahren endgültig bei der Artillerie untergebracht, in K., wo der Dom steht, und das nächste Mal steckt man mich gewiß zu der Infanterie wie die andern vorhin. Die Kanonen darf ich mir nicht verscherzen, ich mache also lieber von der Erlaubnis keinen Gebrauch. Meine Leute daheim werden zwar nicht verstehen, daß ich die Gelegenheit ungenutzt lasse, denn es kann ja ebensogut Wochen dauern, bis mich das Militär wieder benutzt, und in der langen Zeit verändert sich vieles. Abzulehnen wäre, wie ich glaube, ein Leichtsinn, gleich heute nachmittag gehe ich ins Café. Ach was, mag es Leichtsinn sein, eigentlich bin ich noch gar nicht recht leichtsinnig gewesen. Nur ist die Frage, ob man eine solche Aufforderung überhaupt ablehnen darf, wahrscheinlich ist sie auch ein Befehl. Hätte man mich doch nicht in Versuchung geführt. Ich weiß gar nicht, wie ich mich jetzt entscheide.
    Rechts die Reklamiertengruppe, in der Mitte der Oberst. Ginster biegt zur Mitte um.
    »Verzeihen Sie bitte … ich glaube … ich möchte dabeibleiben. Wenn es ginge.«
    »Was will er?« Niemals hätte Ginster dem Oberst eine so gewaltige Stimme zugetraut. Die des Großvaters war weinerlich gewesen, ein Alterspiepsen. Die Uniform, was. Ob jung, ob Greis: überall Stimmen.
    »Ich habe nur fragen wollen … ich meine, daß ausnahmsweise trotz der strengen Reklamationsbestimmungen … dabeibleiben … Verzeihung, nur fragen.«
    »Eintreten.«
    Ein Rauschen um Ginster, als er wieder in die alte Reihe eingetreten war. Mit Er hatte der Oberst ihn angeredet. Ginster sah nichts, schüttelte sich. Aber vielleicht hatte ihn der Oberst nur nicht verstanden und das Er dem Feldwebel gegenüber angewandt, um sich über Ginsters Absichten zu vergewissern. Man mußte lauter sprechen; ganz deutlich. Nun war er aus eigenem Entschluß dabei.
    Unter Führung verschiedener Militärpersonen – der gleichen, die schon auf dem Hof anwesend gewesen waren – zog die nach K. bestimmte Gruppe durch die Stadt zur Bahn. Ginster und Ahrend gingen nebeneinander. Die Straßen und Häuserfronten, die Ginster kannte, stellten sich fremd, weil er in der Kolonne schritt. Freilich, auch fremd waren sie nicht, denn er erriet manche Ladenschilder, ohne sie zu erblicken. Mitten durch eine Luftspiegelung rückte er vor.
    »Begreife nicht«, sagte Ahrend, »hatten seltene Chance gehabt.«
    Das Verhalten Ginsters hatte ihn peinlich berührt, so plump, er verhauchte. Ginster verstand sich selbst nicht mehr und bereute seinen Entschluß. Das Holzkistchenwurde immer schwerer. Einmal streifte es aus Versehen das halbe Palasthotel auf dem Handköfferchen, das zurückwich. Es war die Behandlung nicht gewöhnt. Die Bahnhofshalle, feucht, trüb, immer wieder Soldaten, alles in Glas. Früher war sie ein Festsaal gewesen, den die Menschen zu ihrem Vergnügen aufgesucht hatten. Von hier aus waren sie quer durch die Alpen gefahren. Dreiviertel drei. Das Stehen auf dem Bahnsteig, Stehen, nur Stehen.

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