Ginster (German Edition)
aber die Kaserne?«
»Du wirst sie schon sehen.«
Jeder sollte sich ein Bett aussuchen. Verwundert darüber, daß den einzelnen die Wahlfreiheit überlassen wurde, zauderte Ginster lange, ehe er sich für eine Höhenlage entschied. Blieb er zu ebener Erde, so erdrückte ihn der Mann über ihm; kletterte er in die Höhe, so schwebte er als Schläfer in der Luft. Schließlich besetzte er dochdas oberste Lager, auf dem er verhältnismäßig persönlich schlafen konnte, da er hier nur in Verbindung mit der Decke stand. Die Leute aßen Wurst, auch Ginster nahm etwas zu sich. Ahrend saß hinter einem Bettpfosten, über sein Handköfferchen geneigt, in dem er kramte. Ginster hatte den flüchtigen Eindruck, er sei auf der Wanderschaft aus Zufall mit einer Reihe von Burschen zusammengetroffen, die gleich ihm in dem Haus zu Gast waren; morgen in aller Frühe ging es dann weiter. Ein Mann mit Knöpfen am Uniformkragen teilte den Leuten ihre Adresse mit: sie waren Kanoniere im Fußartillerieersatzbataillon, und der Saalbau hieß Berner Hof. Kanonier Ginster. Für einen Augenblick befand er sich im Ungewissen, ob er als Ersatz diente, oder selbst ersetzt worden war. Die Militärs verzichteten im übrigen auf besondere Befehle und erlaubten sogar den Ruhebedürftigen, sich schon niederzulegen. Sieben Uhr. Als einer der ersten schwang sich Ginster bettaufwärts, holte den Lyrikband aus dem Kistchen und wickelte sich in die Decke. Stimmengewirr drang undeutlich zu ihm herauf. Er grenzte an die obere Hälfte eines riesigen Fensters, dessen Scheiben leicht gelb getönt zu sein schienen; wie in einem Warenhaus, wo steckten die Waren. Gedichte sind gemalte Fensterscheiben, las er in dem Bändchen, Sieht man vom Markt in die Kirche herein, Da ist alles dunkel und düster. Das ihm bekannte Gedichtchen empfahl in seiner zweiten Strophe den Besuch der Kirche, weil die Fensterscheiben erst von innen farbig erglänzten. Kommt aber nur einmal herein, Begrüßt die heilige Kapelle … Ginster hätte es vorgezogen, die Fenster von außen statt von einem Saalbett zu betrachten; selbst wenn sie bunt verziert gewesen wären. Im Weiterblättern hörte er Walzerklänge und Teile von Militärmärschen, deren Herkunft ihmunergründlich blieb, jedenfalls entstanden auch sie nicht im Saal. Sie trafen leise ein, obwohl sie laut waren, und unterbrachen sich fortwährend. Die eigentlich leisen Stellen, die in den Lücken saßen, hätten vielleicht zur Lyrik besser gepaßt. Es scharrte. Neben sich spürte Ginster eine Erschütterung, sein Bein wurde zurückgestoßen, Fleisch gegen Fleisch, breiter Körpergeruch.
»Die sollten das Licht jetzt ausmachen«, sagte der im Nachbarbett aufgetauchte Mann, »schon dreiviertel neun.«
Je zwei Bettetagen klebten immer aneinander. Der Mann hatte sich halb aufgerichtet, ein junger Kerl, der aus seinem Nachthemd herausglotzte. Das Hemd suchte die Harmlosigkeit, die es seinem Träger verlieh, durch tigerartige Flecke wieder auszugleichen, wirkte aber nicht schrecklicher als ein künstliches Fell. Die Armbanduhr zeigte erst acht. Ginster drehte den Knopf, das Armband tickte, die Zeiger ließen sich nicht verschieben. An seiner gewöhnlichen Uhr war noch ein Knöpfchen zum Eindrücken gewesen, mit dessen Hilfe er die Uhr nach Belieben hatte richten können, wenn die Zeit langsamer oder schneller abgelaufen war. Niemand hatte beim Einkauf auf das Knöpfchen geachtet.
»Gib das Ding einmal her«, sagte der Mann nebenan und nahm Ginster die Uhr einfach weg.
»Bitte, hier.« Ginster, der die Uhr schon gar nicht mehr in Händen hielt, hatte die Freude an ihrem Zusammenhang mit dem Arm verloren; der Ruck lohnte sich nicht, wenn sie unpünktlich war.
»Siehst du, man zieht den Knopf etwas in die Höhe, dann kann man die Uhr stellen. Gut ist sie nicht.«
»Danke auch, o bitte.«
»Da.«
Der Mann musterte Ginster, die Uhr hatte offenbar sein Mißtrauen erregt. »Du bist doch der, der sich vorhin nicht zurückstellen ließ.«
Er drehte sich um, ganz von hinten, und schnarchte. Noch ein paarmal lupfte Ginster den Knopf und trieb die Zeiger rundum. Es war dunkel geworden. Kein Stall für die Uhr, er band sie am Bettpfosten fest. Die Musik erklang.
Am anderen Morgen drängten sich die Leute in den Toilettenraum. Ginster hatte den Ansturm vorausgesehen und schleunig das Bett verlassen, um gleich an die Reihe zu kommen. Nur drei Waschbecken vorhanden. Von den Leuten war zum Glück keiner auf den Gedanken geraten, daß das
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