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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Grammatik war militärisch verändert. Den Hauptanstoß zu ihrer Umwandlung hatte vermutlich die Notwendigkeit gegeben, den Dingcharakter der Menschen auszudrücken, den sie in der gewöhnlichen Sprache nicht besaßen. Auch sonst kannte sich Ginster schlecht aus. Dicht bei dem BernerHof befand sich der Marienhof, der ebenfalls als Soldatenquartier verwandt wurde, da die Kasernen bei weitem nicht ausreichten. Es war zu viel Krieg. Die zwei Anwesen lagen zwischen Häusern versteckt, etwas abseits von einer platzartigen Verkehrsstraße, von der aus schmale Gäßchen schnurstracks auf ihre Eingänge zuliefen; mit dem Mittelalter standen sie beide durch künstliche Erker in Verbindung, die an ihren Fronten und Ecken angebracht waren. Wurde Ginster während der ersten Tage überhaupt ins Freie gelassen, so landete er auf dem Rückweg stets beim Marienhof, den er vergeblich nach einem Garten durchsuchte. Er glaubte, vor dem Berner Hof angelangt zu sein, und wunderte sich über das plötzliche Verschwinden des Gartens. Es dauerte eine gewisse Zeit, ehe er dahinterkam, daß das gartenlose Gebäude ein für allemal der Marienhof war. Von ihm zum Berner Hof durchzufinden, war des Straßengewinkels wegen so schwierig, daß Ginster manchmal in die verkehrte Richtung geriet und sein Quartier kreisförmig umstrich. Wenigstens ermittelte er bald, daß die abendliche Musik von einer Militärkapelle herrührte, die im Restaurationssaal des Erdgeschosses konzertierte. Sie spielte nicht alle Tage. Die Kanoniere erhielten die Erlaubnis, sich vor der Schlafenszeit noch in den Saal hinunterzubegeben. Dort saßen sie beieinander und unterhielten sich wie Schüler über die Vorgesetzten und den Dienst. Aus der Nähe klang auch die leise Musik laut, schöner war sie oben im Bett, wo die Töne nicht über den Lauscher herfielen, sondern ihm immer wieder entschlüpften. Vielleicht hingen sie nur zusammen, um in Bruchstücken vernommen zu werden. Die Rundbogenfenster reichten bis zum Fußboden herab und wurden gewiß im Sommer entfernt. Dann drang das Bier weit in den Garten hinaus. Von allen Getränkenliebte es am meisten den Aufenthalt unter Bäumen. Da die Kanoniere sich schon vor neun zum Schlafen rüsten mußten, hatte das Konzert noch kaum angefangen, wenn sie den Saal verließen. Er war gewöhnlich ungenügend erhellt. Die volle Beleuchtung setzte erst später bei dem stärkeren Zustrom des Publikums ein.
    Gleich zu Beginn der Ausbildung erfuhr Ginster, daß ein richtig geführter Krieg von Kleinigkeiten abhing, deren Bedeutung für Schlachten ihm früher entgangen war. So durfte er morgens das Deckbett nicht unordentlich liegen lassen, sondern hatte es nach erfolgtem Schütteln durch Kneten und Streichen in die vorschriftsmäßigen Winkel zu pressen. Wie ein Kasten ruhte es auf der Matratze. Ginster hätte nicht gedacht, daß auch mit den Tüchern so rechteckig verfahren werde wie in Holz oder Stein, aber das Militär schien eine Abneigung gegen runde Flächen zu haben. Er nahm sich vor, während des Urlaubs die Betten daheim zu beobachten. Die Kanten müssen wie mit dem Lineal gezogen sein, pflegte der Gefreite Knötchen zu sagen. Unteroffizier Wernecke visierte mitunter die Kanten persönlich: ob sie zittrig waren oder auseinanderstrebten. Ihre Einrichtung erforderte besonders im Oberbett eine gewisse Geschicklichkeit, über die Ginster zum Glück noch vom Ehrenfriedhof her verfügte. Das Denkmal war eine gute Vorbereitung gewesen. Einmal wurde er seines Augenmaßes wegen gelobt. Eigentlich überraschte es ihn, daß häusliche Arbeiten, die in Familien das Mädchen versah, eine solche militärische Rolle spielten, denn er hatte sich Kanoniere immer neben eiskalten Kanonenrohren vorgestellt. In Wirklichkeit zeigten sich nirgends Geschütze. Sie fehlten auch auf dem Kasernenhof, mit dem verglichen der Hof des Bezirkskommandos ein kleiner Behälter war, in dem man die Leute nur einfing und vorläufig aufbewahrte. Derartige Behälter standen in Laboratorien. Die Einzäunung des Riesenplatzes war ein Strich in der Ferne; vielleicht gab es wie im Bodensee eine Stelle, von der aus die Ufer völlig unsichtbar wurden. Aus der sandigen Leere stieg hier und da ein Schuppen empor, rechts im Hintergrund hatte sich sogar eine ganze Inselgruppe gebildet. Die Ställe; dort sprangen die Gäule mit ihren Reitern. Ginster sollte zu Fuß in den Krieg. Der einzige Schuppen, der ihn etwas anging, war gleich bei dem Hauptkasernenbau die Latrine, in der die

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