Ginster (German Edition)
geht Ihnen gut, glauben Sie mir. Wissen Sie eigentlich, daß der Ehrenfriedhof noch im Krieg gebaut werden soll, man rechnet auf starken Besuch. Heute abend haben wir nämlich im Rathaus Versammlung. Ruhig, Pedro, wir gehen gleich weiter. Sie sind ganz der alte geblieben, aber ich spüre schon leise eine Veränderung, Winfried hat recht. Eines Tages werden Sie mir dankbar dafür sein, daß Sie beim Militär gewesen sind. Doch, doch …«
Pedro läutete ab, Hay erklärte seine Hunderasse. Wo ist mir schon einmal so etwas zugestoßen, dachte Ginster und kramte in sich. Der dicke Kopf Ullas stieg vor ihm auf. An der Haustür Abschied von Hay. Auch die Menschen seien in Rassen zerlegbar.
Trotz der Kälte wurde mit den Kanonen geübt. Sie mußten zu Fuß aus einem schuppenartigen Stall auf den Kasernenhof geschleppt werden. Jede Gruppe empfing ihre eigene Kanone. Während des Ziehens wunderte sich Ginster, daß die Kanone sich überhaupt von der Stelle bewegte, denn er zog sie nicht eigentlich, sondern ließ sich von ihr schleifen. Bei dem Frost hatte er Bedenken, die Metallteile zu fest zu berühren, und überdies machte ja auch die vereinte Anstrengung der ganzen Gruppe die Tätigkeit des einzelnen überflüssig, die in jener Anstrengung schon enthalten war. Den Schalupp freute das Ziehen. Vier Kanonen zusammen, die mitten auf dem Hof in regelmäßigen Abständen angeordnet werden sollten,eher gaben die Unteroffiziere keine Ruhe. Ginster hielt eine so genaue Verteilung für zwecklos, weil nach allem, was er gehört hatte, auf den Schlachtfeldern draußen meist nicht die Zeit für Abstände blieb. Die Kanonen sahen wie auf den üblichen Abbildungen aus und hießen Neun-Zentimeter-Geschütze, eine Ziffer, die wohl irgendeinen Durchmesser bezeichnete. Auch die Soldaten in der Gruppe wurden mit Ziffern versehen, denen jeweils eine andere Verrichtung entsprach. Ihre Numerierung erinnerte an die Sanitätskolonne, nur daß jetzt auf den Gestellen lange Rohre lagen, die unter Umständen schossen. Übrigens kam sich Ginster mit der Ziffer gleich viel persönlicher als ohne sie vor. Das Gefühl einer erhöhten Bedeutung wurde durch die Anwesenheit Leutnant Rieses verstärkt, der sich an dem Laufen und Grüßen sonst niemals beteiligte. Er war der Sohn eines Konditors aus der Stadt und hatte, wie die Leute erzählten, vorige Weihnachten seinen ganzen Zug mit Zuckerbrezeln beschenkt. Neu und rosig stand er in der hellen Nachmittagsluft; als sei er selbst gerade aus dem Backofen gekommen. Seine warme Herkunft schien ihm noch anzuhaften, jedenfalls rührte er sich nicht, während die Mannschaft mit den Füßen trampelte, so fror sie hinter ihren Kanonen. Manchmal schon im Lauf seiner kurzen Dienstzeit hatte Ginster erfahren, daß die Vorgesetzten auch von besserem Wetter begünstigt waren als die einfachen Soldaten. Kein Ziel ringsum, alten Beutestücken gleich lagerten die Kanonen auf dem Platz. Dennoch kommandierte Leutnant Riese sämtliche Ziffern an die Neun-Zentimeter-Rohre und bestimmte ihnen eine entfernte Stange zum Gegner, die sich mit der Harmlosigkeit eines Spaziergängers jenseits der Hofmauer erhob. In ihrer Nachbarschaft sich aufzuhalten, war bereits gefährlich. Ginster wurde beauftragt, sein Geschütz auf die Stange zu richten. Zu Feinheiten solcher Art hatte er von jeher geneigt. In den Knabenjahren war es während einer gewissen Zeit seine Lieblingsbeschäftigung gewesen, einen Holzreifen mit Hilfe eines Stäbchens unangefochten über die Hauptverkehrsstraßen zu treiben. Gewöhnlich hatte er sich die Stunde nach Geschäftsschluß ausgesucht, in der die Menge für den Reifen fast undurchdringlich geworden war. Dem leeren Holzrad winzige Kanäle zu bahnen, in denen es ohne zu taumeln hinrollen konnte, war für ihn ein so erlesener Genuß gewesen, daß er die Schmähungen der über sein Kanalnetz verärgerten Leute gern mit in Kauf genommen hatte. Später war dann der Reifen dem Fahrrad gewichen, das sich ebenfalls schwierigen Aufgaben hatte unterziehen müssen, die mit dem Richten zusammenhingen. Niemals nämlich war Ginster im Freien einfach hin- und hergefahren, sondern hatte seine Radpartien immer nach einer schriftlich niedergelegten Tabelle ausgeführt, in der die Fahrtdauer für einige der wichtigsten Strecken verzeichnet war. Von der Wohnung bis zum Hauptbahnhof achteinhalb Minuten: pünktlich nach achteinhalb Minuten – die Taschenuhr hatte einen Sekundenzeiger besessen – war er am Mitteleingang des
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