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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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sich der Vizefeldwebel in ein Taschenmesser, schnitt den erwischten Knopf ab und steckte ihn ein. »Morgen muß ein neuer Knopf angenäht sein, sonst …« Der Vizefeldwebel entfernte sich mit der Sicherheit eines furchtbaren Zauberers, der genau weiß, daß er eine unlösbare Aufgabe hinterläßt; denn nach seinem Weggang sollte geschlafen und morgen früh sofort zum Dienst abmarschiert werden. Ginster wünschte im Dunkeln, daß ihm heimlich ein Mädchen beispränge, Nähzeug und zwei Ersatzknöpfe hatte er im Kistchen. Kaum schlief er vor Angst. Am Morgen glitt er zeitiger als die anderen von seinem Oberbett herunter und richtete einen überlangen Zwirnfaden aufs Nadelöhr, das ihm freilich stets wieder entkam, so heftig fror er neben dem erloschenen Ofen. Da der Ofen als Ofen Wärme vorspiegelte, war in seinem Umkreis die Kälte verdoppelt. Zu Hause hatte Ginster noch nie einen Knopf angenäht, weil die Mutter behauptete, daß er zu ungeschickt sei. Lieber schon nähte sie die Knöpfe selber. Er hütete sich, ihr das Bewußtsein der Überlegenheit zu rauben, das sie mit den abgerissenen Knöpfen versöhnte. In Wirklichkeit fiel ihm der Knopf gar nicht so schwer, nachdem erst das Garn eingefädelt war. Von hinten ein Löchelchen zu finden, kostete zwar eine gewisse Mühe, aber dafür machte am Schluß das Umwickeln Spaß. Der Knopf saß jetzt so fest, daß er durch kein Gerücht mehr erschüttert werden konnte. Leider besichtigte ihn der Vizefeldwebel trotz seiner Drohung nicht. Vielleicht dachteer sich bereits etwas Neues aus. Übrigens war der Dienst auch ohne besondere Knöpfe aufreibend genug. Wenn die Grüße fertig vermessen schienen, wurden sie von vorne probiert. Allmählich empfand Ginster nicht mehr die einzelne Anprobe selbst, sondern nur noch die Tatsache ihrer Vervielfältigung. Manche Übungen blieben ihm so unverständlich wie die Kanonen. Dennoch wiederholten sie sich in einem fort. Man brauchte bloß aus dem Haus zu treten und fand schon die Übungen vor. Sie drangen auch in den Saal hinein, der ganze Körper war aus ihnen zusammengesetzt. Ihre Ausdauer erinnerte an die Bohrmaschine beim Zahnarzt. Die Kälte bohrte ebenfalls immer erbitterter; wahrscheinlich hielt sie bis zur Frühjahrsoffensive an. Dann lag der Nerv frei.
    Einmal, als es gar zu sehr zog, fror und bohrte, suchte Ginster in einem feinen Friseurgeschäft Zuflucht. Er wollte sich dort nur vorübergehend in der schönen Umgebung aufhalten und liebenswürdig behandelt werden wie ein persönlicher Herr. Zum ersten Mal seit langer Zeit glaubte er wieder in einem richtigen Innenraum einzukehren. Der Laden kam ihm klein vor im Vergleich mit den Straßen, Sälen und Plätzen, die er sonst bestrich – eine durchwärmte Schatzkammer, in der es fortwährend summte, aber nicht weiter gefährlich, sondern rein zum Vergnügen, als sänge einer still vor sich hin. Freilich mochte die strahlende Helle zum Singen verleiten. Sie war von lauter Gerüchen erfüllt, die in dem Lichtbassin wie eine dicke Flüssigkeit standen. »Ein Momentchen, mein Herr.« Gern verweilte Ginster noch ungestört zwischen den bunten Flaschen und Fläschchen. Gleich nach ihm war ein Offizier eingetreten, der jetzt auch auf Bedienung wartete. Seinen Abzeichen nach gehörte er nicht den Fünfern an, vielleicht auf Urlaub in K. So dicht nebendem fremden Offizier fühlte sich Ginster doch etwas befangen, auch war er von dem Summen betäubt und hatte die beunruhigende Empfindung, daß er mit Haut und Haaren in die Kopfdüfte eingetunkt worden sei. Über dem weißen Tuch vor ihm wölbte sich ein Riesenschädel, auf dem gerade ein Scheitel entstand, der die Kuppe in zwei Hälften zerteilte. Die Anlage sah dem Ehrenfriedhof ähnlich, nur daß sich an der Stelle des Denkmals der lichte Wirbel befand. Nach ihrer Vollendung – kein Härchen wehte mehr hinüber und herüber – ging der ganze Friedhof langsam in die Höhe, und der Stuhl unter ihm wurde frei. Niemand wäre befremdet gewesen, wenn Ginster ihn eingenommen hätte; am allerwenigsten der Offizier selbst, der in einer Zeitschrift verschwand, um seine Gleichgültigkeit zu beweisen. Schon wurde Ginster der Sitz angeboten, aber er zog es plötzlich vor, auf sein Recht zu verzichten. Trat er freiwillig hinter dem Offizier zurück, so hob er mit der Reihenfolge, die hier unnachsichtig herrschte, mindestens für einen Augenblick auch den Rangunterschied auf; als werde durch einen leichten Hebeldruck eine schwere Last in Bewegung

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