Girl
unbeholfen. Ich stehe immer noch wie ein Mann, und ich gebe mich ganz wie ein Mann. Wenn ich mich hinsetze, stehen meine Beine immer viel zu weit auseinander – auf der Party hatten mir Kate und Mum drei- oder viermal hektisch signalisiert, die Knie beieinander zuhalten, weil mein Slip weithin leuchtete. Und jedes Mal, wenn ich den Mund aufmache, redet eindeutig Bradley und nicht Jackie.
Gestern Abend, nachdem ich etwa eine Stunde lang mein Tagebuch auf Band gesprochen hatte, ging ich in Kates altes Zimmer, in dem ein mannshoher Wandspiegel hängt. Ich zog mich aus und betrachtete mich eingehend im Spiegel.
Einiges hatte sich verändert, vor allem aber meine persönliche Einstellung. Im Krankenhaus war ich noch völlig panisch und geschockt gewesen. Jetzt war ich viel ruhiger, als gelte es, ganz kühl einen Entschluss zu fassen, ja beinahe schon eine Strategie festzulegen.
In der Hinsicht komme ich ein wenig auf Dad. Wenn ich auch sonst viel rumhänge, sobald ich mir einmal etwas fest vorgenommen habe, setze ich alles daran, es auch durchzuziehen. Gerade das machte mich für meinen Job so geeignet. Hatte ich mir ein Ziel gesetzt, steuerte ich eisern darauf zu. Kein Vertun.
Außerdem war es nicht das erste Mal, dass ich an meinem Körper arbeitete. Als ich ungefähr fünfzehn und klein und schmächtig gewesen war, hatte ich von den Jungs in der Schule ne Menge einstecken müssen. Ich war der Schwächste, der Kleinste und der letzte, der sich rasierte. Ständig zog man mich auf oder schubste mich herum, bis ich beschloss, dass damit Schluss sein musste.
Damals stand ich vor genau dem gleichen Spiegel wie heute und schwor mir, dass ich mir Achtung verschaffen würde. Ich ließ mir Trainingsprogramme und Diätpläne kommen. Ich machte Gymnastik bei uns im Verein, ich fing an mit Aikido, tat alles, was mich ein bisschen mehr zum Macho machen konnte.
Es kostete mich ein Jahr verdammt harte Arbeit, aber ich schaffte es, aus mir einen zähen kleinen Kraftbolzen zu machen. Ich weiß auch nicht, ob durch die Gymnastik, aber ich wurde sogar ein kleines Stück Größer, obwohl Mandelson recht hatte, als er mich auf unter eins siebzig geschätzt hatte. Etwas um eins achtundsechzig kam der Wahrheit schon näher. Aber ich hatte einiges an Muskeln zu bieten, wurde als Stürmer in die Schul-Rugby-Mannschaft aufgenommen, und niemand machte sich mehr lustig über mich. Wenn man erst im Sport die große Nummer ist, wollen einen alle zum Freund.
Ich weiß also, dass ich mich in Form bringen kann. Bleibt nur die Frage, in welche. Ich hatte mich wieder vor dem Spiegel postiert, um eine Antwort darauf zu bekommen.
Natürlich hatte ich dadurch, dass ich seit Monaten nicht trainiert hatte, Muskeln verloren. Und durch den Einsatz von Enthaarungscreme und Rasiermesser waren meine Arme, Achselhöhlen und meine Brust glatt geworden. Ich sah jetzt schon weniger wie ein Ersatzteillager, sondern eher schon nach jemand aus, der so und nicht anders gewachsen war.
Meine Brustmuskeln, beispielsweise, sind erheblich geschrumpft, so dass meine Brüste nicht mehr wie aufgepfropft aussehen. Durch die Hormone sind sie sogar noch ein Stückchen gewachsen. Die Implantate verschwinden mehr und mehr unter lebendigem Gewebe. In einiger Zeit wird man sie von normalen Brüsten nicht mehr unterscheiden können.
Tante Cheryl hatte die Hauptproblemzone gleichwohl richtig erkannt. Meine Taille. Im Grunde genommen habe ich gar keine. Es ist mehr oder weniger eine gerade Linie, die auf beiden Seiten des Brustkorbs über die Hüften bis hinab zu den Schenkeln verläuft und in der Mitte von einem hervorspringenden Klumpen unterbrochen wird. Wenn ich halbwegs überzeugend aussehen möchte, muss ich oben enger und unten breiter werden. Wenn es eben geht, muss ich von meinen gegenwärtigen achtzig Zentimetern auf höchstens zweiundsiebzig oder siebzig Zentimeter Umfang runter. Und das heißt, weniger essen und zurück ins Fitnessstudio.
Was meine Stimme angeht, werde ich mit einer Sprach Therapeutin arbeiten, die auf solche Fälle spezialisiert ist. Richtig zu gehen und mich hinzusetzen lerne ich in einem der Kurse, von denen Carrie Partridge gesprochen hat. Irgendwie bekomme ich das schon hin, auch wenn es nicht von heute auf morgen geht, und in der Zwischenzeit werde ich mich nicht zum Gespött der Leute machen, indem ich krampfhaft versuche, feminin zu wirken und dabei wie ein Vollidiot in Frauenkleidern aussehe. Ich werde die Sache langsam angehen. Und ich
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