Girlfriend in a Coma
deutlich. Und Schlamm. Wie beim Monsun - in Japan. Auch da bin ich mir ganz sicher. Da waren Felder in Afrika alles stand in Flammen. Und dann noch etwas ganze Ekelhaftes - Flüsse in Bangladesch oder Indien, randvoll mit Körpern und Stoffen. Das letzte war eine große digitale Zeitanzeige - in Florida. Auf jeden Fall Florida. Es war 00:00 und 60 Grad Außentemperatur.« Pam setzt ihre Tasse ab. »Wow. Kaum zu glauben, daß mir das alles wieder eingefallen ist. Aber immerhin. Wo ich doch ein Gehirn wie ein feuchtes Papierhandtuch habe.«
»Es klingt irgendwie schaurig schön.«
»Das war es auch. Und es war real - es war kein Film. Soviel steht fest.«
Am selben Nachmittag noch läßt Wendy sich einen Grund einfallen, um Monster Machine einen Besuch abzustatten sie bringt Hamilton ein paar vor langer Zeit geliehene Bücher zurück. »Hast du kurz Zeit für einen Kaffee?“
»Für dich immer.«
Ein paar Minuten später in der Kantine während einer Gesprächspause, untermalt von einer Musikkonserve - laut Hamilton »Eleanor Rigby auf einem Didgeridoo gespielt« -, bringt Wendy die Sprache auf Hamiltons Halloween-Überdosis, und genau wie Pam erinnert er sich lebhaft daran, ist aber überrascht, daß er seitdem nicht mehr daran gedacht hat. »Texas - eine Autobahn - alles ist still, wie in einem Science-Fiction-Film. Ach, und Musik - ein Kinderchor, der ›Oranges and Lemons‹ singt. Was sonst noch - Schlamm. Massen von Schlamm. Er schwappt über Tokio. Ein paar brennende Felder in Afrika, Leichen in einem Fluß in Indien ...« Hamilton sieht Wendy nicht an, sondern blickt nachdenklich in die Ferne: »Und die Uhrzeit und Temperatur in Florida. Dade County? Null Uhr und 60 Grad Celsius. Voila.«
Wendy ist vor Schreck wie gelähmt. »Wendy - was ist los? Du siehst aus, als hättest du unsere neueste Monsterkreation gesehen. Komm mit - ich zeig' sie dir.« Sie stolpern in die Werkstatt voller Urethan- und Glasfasergerüche. Hamilton führt Wendy zu einem enthaupteten Rumpf, in dessen Hals eine Hand steckt. Wendy nickt zustimmend, aber mit ihren Gedanken ist sie woanders.
Die Kamerateams der Nachrichtensendungen und die Fernseh-Lkws sind schon eine Weile wieder fort. Sie haben den Versuch, Fotos zu ergattern, aufgegeben. Linus schießt ein paar Schwarzweißporträts von Karen und ihren frischgefärbten und -gestylten Haaren. Aus dieser Reihe wird ein Foto ausgewählt, mehrfach abgezogen und an die gesamte Presse verteilt. Keiner aus der Familie hat Interviews gegeben. Karens Körper, der tagsüber unter einem Canucks-Hockeypullover verborgen ist, kehrt langsam ins -Leben zurück erst die Finger, dann die Hände und dann die Unterarme, Knöchel, Füße und dann die Knie. Richard, Megan und eine ausgebildete Therapeutin beaufsichtigen täglich stundenlang Beuge-, Rotations- und Streckübungen, mit denen Karens armseliger kleiner Körper Stück für Stück wieder aufgepäppelt wird. Richard hilft Karen, ihre Unterschrift neu zu lernen, und er ist erschrocken, wie schwer ihr das fällt. Ihr runder, mädchenhafter Namenszug von einst ist jetzt eine eckige Schulanfängerschmiererei.
Lois sorgt dafür, daß Karen ißt; ihr Magen, der im Grunde seit fast zwanzig Jahren keine feste Nahrung mehr gewohnt ist, verträgt nur winzige Mengen, aber Lois, stets darauf erpicht, Wissenschaft und Ernährung miteinander zu verbinden, ist froh zu sehen, daß die Rationen Gramm für Gramm wachsen und sie dabei langsam zunimmt.
Richard hat einen außerordentlich teuren norwegischen, mit einem hängemattenartigen Sitz ausgestatteten Rollstuhl gekauft, der es der Insassin, Karen, erlaubt, über holprige Böden wie etwa Waldwege zu fahren, und so gehen die beiden draußen wandern. Um diese Zeit des Jahres sind keine Touristen mehr unterwegs; das einzige, was ihre Einsamkeit stört, ist ein flüchtiger Gruß von einem Nachbarn auf einem Spaziergang; vorbeilaufende Hunde lecken Karen das Gesicht. Der Hängesitz vermittelt Karen ein Gefühl extremer Abhängigkeit, und während Richard versucht, den Stuhl ein steiniges Wegstück hochzuzerren, füllen sich ihre Augen mit Tränen; sie vermißt die Natur.
»Richard, bleib mal einen Moment stehen«, sagt sie. Sie atmet tief durch. »Schau dir bloß die Bäume an. Wie lebendig sie sind. Wie rein. Wie makellos und stark.« Licht sprenkelt die Blätter des Unterholzes; Karen erschauert. »Was ist denn, Karen?«
»Richard, sieh dir meinen Körper an. Ich - ich bin nichts mehr. Ich bin ein
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