Giselles Geheimnis
sorgsam darauf achtend, dass sie Stefano nicht über den Weg lief. Erst nachdem sie die Tür ihres Büros hinter sich ins Schloss gedrückt hatte, erlaubte sie ihrer Wachsamkeit, nachzulassen – und musste feststellen, dass sie keineswegs, wie geglaubt, in Sicherheit war.
Stefano hatte hier auf sie gewartet.
„Wir müssen reden.“ Ohne sie anzusehen, ging er zum Fenster. Da er mit dem Rücken zu ihr stand, konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, wusste aber, dass, sollte er sich umdrehen, die Morgensonne erbarmungslos ihre Miene preisgeben würde.
„Was zwischen uns passiert ist, war ein Fehler und hätte nicht passieren dürfen“, sagte er.
Der Schmerz fachte ihren Ärger an. „Glauben Sie etwa, ich hätte es mir gewünscht?“, fragte sie herausfordernd. „Denn das habe ich nicht. Sie scheinen zu glauben, alle Frauen würden … würden intim mit Ihnen sein wollen, in der Hoffnung, dass diese Intimitäten zu einer Beziehung führen. Lassen Sie sich von mir versichern, dass ich das nicht will. Und es niemals wollen werde.“
Ihre wütend ausgestoßene Behauptung klang so entschieden, dass er sich abrupt zu ihr umdrehte. „Das lässt sich leicht behaupten. Zeigen Sie mir eine Frau, die nicht behauptet, frei und ungebunden sein zu wollen – bis sie den Mann trifft, den sie zu ihrem Versorger erkoren hat, und schwanger von ihm wird. Dann schwenkt sie sofort um und wollte natürlich immer nur Mutter sein“, konterte er.
Seine groben Worte trafen Giselle wie ein Schlag in den Magen. „Eine solche Frau werde ich nie sein“, stieß sie wild aus. „Ich werde niemals ein Kind haben. Nie! Und was das angeht, was zwischen uns passiert ist … von ganzem Herzen wünschte ich, es wäre nie geschehen.“
Sie meinte es ernst, das konnte Stefano sehen. Er nickte knapp. „Dann sind wir ja schon zu zweit. Gut. Ein einziges Mal sind wir uns also einig.“
Als er an ihr vorbei zur Tür ging, hatte Giselle sich bereits scheinbar konzentriert über die Pläne gebeugt, die auf dem großen Tisch ausgebreitet lagen.
Zurück in seinem eigenen Büro, musste Stefano feststellen, dass es nicht so leicht war, den Kuss oder auch Giselle aus seinen Gedanken zu verbannen. Letzte Nacht in seinem beeindruckend eleganten Stadthaus in Chelsea, in seinem bequemen Bett mit den sündhaft teuren Damastlaken, die tagtäglich von einer kleinen Armee von Bediensteten gerichtet und glatt gestrichen wurden, hatte er dennoch keinen Schlaf gefunden – weil Giselle ihm unter die Haut gegangen war und ihn irritierte, so als hätte ihm jemand einen Eimer Sand ins Bett gekippt. Und jetzt bekam er sie nicht mehr aus seinem Kopf.
Ihre ständige Präsenz in seinen Gedanken machte ihn mehr als nervös. Er hatte im Bett gelegen, das Morgengrauen aufziehen gesehen und boshaft gedacht, wie gut dieses fahle Licht zu Giselle Freeman passte – mit ihrem abgetragenen schwarzen Kostüm, der blassen Haut und dem farblosen Haar.
Zu spät hatte er erkannt, welchen Fehler er begangen hatte. Denn das Bild, das sich in seinem Kopf formte, zeigte ihm nicht die schäbige Garderobe, sondern nur, wie sich die Bluse um ihren Busen schmiegte.
Sein Verstand mochte entschlossen sein, ein unvorteilhaftes Bild von ihr zu erschaffen, nur … seine Erinnerung gehorchte ihm nicht. Ganz zu schweigen von seinem Körper …
Gegen seinen Willen durchlebte seine Fantasie, wie es sich angefühlt hatte, sie in seinen Armen zu halten. Wenn er jetzt die Augen schloss, meinte er ihr Beben noch immer zu spüren. Es hatte das blinde Verlangen in ihm ausgelöst, ihren Mund in Besitz zu nehmen und ihre süßen Lippen gefangen zu halten. Noch immer spürte er, wie ihr schlanker Körper sich willig an ihn gepresst hatte. Erregender hätte es nicht sein können, wenn sie die bloße Haut seiner Männlichkeit gestreichelt hätte. Er dachte daran, wie er ihre Brust umfasst hatte, und stellte sich vor, wie es sein musste, die Spitze mit Zunge und Mund zu reizen, bis Giselle sich vor Wonne unter ihm wand …
Stefano riss sich zusammen und legte seinen Gedanken die Zügel an. Er hatte noch nie viel von kalten Duschen gehalten, aber das wäre jetzt genau das, was er brauchte.
Das Eingeständnis behagte ihm ganz und gar nicht. Er war nicht daran gewöhnt, dass er über irgendetwas in seinem Leben nicht die Kontrolle hatte, schon gar nicht, wenn es sich dabei um die eigenen Gedanken oder seinen Körper handelte.
Es war gerade so, als würde sein eigenes Wesen gegen ihn rebellieren.
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