Giselles Geheimnis
fallen wird, sich für die Dauer Ihrer Arbeitszeit hier anzupassen, wenn Sie mit dem entsprechenden Geschäfts-Outfit bekleidet sind. Er will Ihnen nur helfen …“
„Mir helfen? Indem er mich so erniedrigt?“
„Das ist ganz bestimmt nicht seine Absicht, Giselle, im Gegenteil. Er bewundert Sie für das, was Sie tun. Ich übrigens auch. Es kann nicht leicht für Sie sein.“
Bei dem Mitleid in der Stimme der Älteren versteifte Giselle sich. „Was kann nicht leicht für mich sein? Günstige Kleidung zu tragen? Mir fallen auf Anhieb tausend andere Dinge ein, die sicherlich schwerer zu ertragen sind.“
Moira versuchte es mit einer anderen Taktik. „Der Großteil von Stefanos Geschäften wird in der hohen Finanzwelt abgewickelt. Er muss seine Geschäftspartner vor allem davon überzeugen, dass er der richtige Partner ist und seine Bauprojekte den entsprechenden Profit auswerfen. Daher ist es seiner Meinung nach sehr wichtig, nach außen hin das richtige Image zu bieten. Unsere Firma arbeitet mit jungem Personal, und die haben eigentlich alle sehr hohe Standards, was die äußere Erscheinung betrifft.“
„Er beschämt und gängelt mich also nicht zu meinem Wohl, sondern zu seinem eigenen?“, fragte Giselle herausfordernd.
„Er tut es für sich und für Sie“, beharrte Moira.
„Nein, kommt nicht infrage“, lehnte Giselle vehement ab. „Er kann sich einen anderen Projektleiter holen. Ehrlich gesagt … nichts wünschte ich mir mehr.“
„Wirklich? Das hieße, dass Sie in Schmach und Schande zu Ihrem Arbeitgeber zurückkehren würden. Stefano ist der wichtigste Kunde Ihrer Firma. Ich verstehe ja, wie Sie sich fühlen, aber denken Sie auch daran, wie das auf Ihrem Lebenslauf aussieht und was das für Ihre zukünftige Karriere bedeutet. Dann ist da auch noch Ihre Großtante, an die Sie zu denken haben. Ein solches Risiko einzugehen, ist vielleicht keine gute Idee.“
Moiras Argumente ergaben natürlich Sinn, das wusste Giselle selbst. Nur musste es ihr deswegen nicht gefallen, es sich anzuhören. Die erste adrenalingespeiste Wut über Moiras Ankündigung legte sich rasant und ließ Giselle ausgehöhlt und leer zurück.
Sie standen zusammen in Giselles Büro, und Moira legte eine Hand auf Giselles Arm. „Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen jetzt zumute ist. Mir würde es an Ihrer Stelle genauso gehen“, sagte sie leise.
Nein, bestimmt nicht, dachte Giselle. Wie sollte irgendjemand sich vorstellen können, was sie fühlte? Sie war es doch, über die Stefano diese Erniedrigung ausgeschüttet hatte. Sie war es, die von ihm verspottet, gedemütigt und … und geküsst und zu einem kläglichen Bündel Sehnsucht reduziert worden war.
„Ich kann und werde Stefano nicht erlauben, mir Kleidung zu kaufen. Da ich aber auch nicht in der Lage bin, die Garderobe anzuschaffen, die er scheinbar als notwendig für seine Mitarbeiter erachtet …“
„Die Sachen werden ja nicht von Stefano bezahlt, sondern von der Firma. Wenn Sie einen Job hätten, der eine Uniform verlangt, dann würde die ja auch gestellt werden.“ Moira ließ Giselle keine Zeit für eine Antwort, sondern fuhr direkt fort: „Das ist hier genau das Gleiche. Stefano wünscht eben, dass Sie die gleiche ‚Uniform‘ wie seine anderen Mitarbeiter tragen.“
„Ich werde es nicht zulassen“, beharrte Giselle. „Am besten sage ich es ihm gleich selbst.“
„Das können Sie nicht.“ Moira stellte sich ihr in den Weg, als Giselle auf die Tür zuging. „Er ist gar nicht da, sondern heute Morgen nach New York geflogen. Überlegen Sie sich Ihre Entscheidung noch einmal. Der Termin ist ja erst um vier Uhr.“
Das ist die Strafe für letzte Nacht, dachte Giselle, nachdem Moira ihr Zimmer verlassen hatte. Dessen war sie sich absolut sicher.
Während sie noch düster über ihre verfahrene Lage nachdachte, klingelte ihr Handy. Emma war am anderen Ende.
„Du errätst nie, was hier los ist“, setzte Emma ohne Einleitung an, sobald Giselle den Anruf angenommen hatte. „Bill Jeffries ist aus seinem Urlaub zurückgerufen worden und bis auf Weiteres vom Dienst suspendiert, weil Stefano Parenti seine Kalkulationen beanstandet hat. Pass bloß auf, Giselle, Bill glaubt, du bist daran schuld, er hat es auf dich abgesehen und wird alles tun, um deinen Ruf zu ruinieren. Du kannst von Glück sagen, dass du drüben bei Parenti arbeitest und nicht hier.“
Giselle umklammerte das kleine Gerät immer fester, während sie Emmas Bericht ungläubig zuhörte. Drei
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