GK0080 - Das Höllenheer
begann Mandra Korab zu sprechen. Es waren Laute, die John noch nie gehört hatte. Seltsam kehlig und abgehackt. Nach kurzer Zeit gingen die Laute in einen seltsamen Singsang über, und John sah, wie sich die Kugel plötzlich veränderte. Farben begannen von unten her zu fließen, liefen ineinander und wurden zu einem rasenden Wirbel. Mandra Korabs Stimme wurde lauter, hektischer. Schweiß bedeckte seine Stirn. Und dann sah John die Bilder! Sie schwebten in der Kugel, waren noch verschwommen, zerflossen ineinander und standen plötzlich klar und deutlich vor John Sinclairs Augen. Der Inspektor sah eine andere Welt! Dunkelheit! Flackernde Feuer! Gestalten, die um eine riesige Figur tanzen. Es war ein unheimliches Bild. Die Gestalten schienen zu schreien. Die Mäuler ihrer Vogelmasken bewegten sich, doch kein Laut drang an Johns Ohren. Rauch wölkte auf. Ausgestoßen aus dem Maul der riesigen Götzenfigur. Plötzlich war alles vorbei. John hörte seinen eigenen scharfen Atem und das Stöhnen des Inders. Mandra Korab war über dem Tisch zusammengebrochen. Die Seance mußte unwahrscheinlich viel Kraft gekostet haben. Nur langsam beruhigte sich der Mann.
»Kommen Sie, Inspektor«, sagte der Inder.
Die beiden Männer gingen wieder zurück in das Arbeitszimmer. John hörte sein eigenes Herz laut pochen. Auch er hatte diese Szenen noch nicht verdaut.
»Es – es war das Reich der Göttin«, sagte John. Eine leise Frage lag in diesem Satz.
»Ja, Inspektor, Sie haben Kalhori und ihre Diener gesehen. Noch kann sie persönlich uns nicht gefährlich werden.«
»Sie hat die Gestalt eines Vogels?« fragte John.
»Nicht genau. Ich kann Sie Ihnen auch nicht präzise beschreiben. Aber wir werden sie zu sehen bekommen. Der Fluch wird dann ganz erfüllt werden, denn Sie, Inspektor, sind dazu bestimmt, die Göttin zu vernichten! So haben es die alten Schriften vorhergesagt.«
Die Worte des Inders klangen wie ein Schwur. John fühlte, daß seine Hände zitterten. Er hatte eine ungeheure Aufgabe übernommen. Konnte er sie überhaupt lösen…?
***
Schattenwesen geisterten um Mandra Korabs Besitz. Formlose Gestalten, die zu einem endgültigen Vernichtungsschlag ausholen wollten. Kalhori hatte ihr Heer geschickt. Die Dämonensperre war durchbrochen worden. Noch war alles friedlich. Doch unaufhaltsam und unhörbar näherten sich die Schreckensgestalten dem Haus…
***
Mandra Korab hatte John Sinclair eine fantastische Suite zur Verfügung gestellt, die insgesamt drei Zimmer umfaßte. Einen Wohnraum, ein Schlafgemach und ein Badezimmer. Die Einrichtung war eine Mischung aus moderner Architektur und orientalischem Prunk. Die beiden Geschmacksrichtungen waren hervorragend kombiniert. Es gab keine Türen, nur Durchlässe, die nach oben hin spitz zuliefen. Als erstes zog John seine Jacke aus und streifte den Schlips über den Kopf. Er mußte lächeln, als er sich die Worte des Inders in die Erinnerung zurückrief. Korab hatte sich nochmals für die rauhe Behandlung seiner Leute entschuldigt. Aber er mußte vorsichtig sein, denn Kalhoris Schergen lauerten überall und waren schon in den verschiedensten Verkleidungen aufgetreten. Im Bad gab es alles, was der Mensch brauchte. John warf nur einen kurzen Blick hinein und inspizierte dann die anderen Zimmer. Er öffnete das Fenster und sah hinaus in den dunklen Park. Die Luft war warm. Ein leichter Wind umfächerte Johns Gesicht. Der Inspektor lehnte sich über die Fensterbrüstung. Eine nachdenkliche Falte hatte sich in seine Stirn eingekerbt. Irgend etwas stimmte nicht. Der Park, eine dschungelähnliche tropische Landschaft, lag still und verlassen unter ihm. Kein Geräusch drang zu ihm herauf, obwohl John sicher war, daß es hier auch Tiere gab, die erst nachts richtig zum Leben erwachten. Etwas lag in der Luft. Johns sechster Sinn meldete Gefahr. Behutsam schloß er das Fenster. Er warf noch einen Blick hinaus, und sah zwei bewaffnete Männer über eine Lichtung gehen.
Das Mondlicht zeichnete ihre Konturen scharf ab. Korabs Leute paßten auf. Der Inspektor wandte sich ab und zog sein Hemd aus. Er wollte ein Bad nehmen. Da klopfte es an die Tür.
»Ja – bitte.«
Ein junges Mädchen trat ein. Es trug einen bunten Sari und hielt den Kopf gesenkt. Über den ausgestreckten Armen hing ein Badetuch. John lächelte. »Sie kommen gerade im richtigen Augenblick.«
Das Mädchen blickte ihn scheu an und ging ins Badezimmer. Das Tuch legte sie auf einen mit Fell überzogenen Schemel. Sie
Weitere Kostenlose Bücher